Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz

Die Paradoxien der Logik und des Lebens

Mit dem "Gödelschen Unvollständigkeitssatz" hat Kurt Gödel die Mathematik umgekrempelt. "Jedes hinreichend mächtige Kalkül enthält unentscheidbare Sätze." Demnach kann auch die Mathematik nicht immer eindeutig richtig oder falsche Aussagen liefern.

"Der Prophet gilt nichts im eigenen Land": Für wenige trifft das so zu wie für den am 28. April 1906 in Brünn geborenen Mathematiker und Logiker Kurt Gödel. Richtig populär wurde der Altösterreicher mit den dicken Brillengläsern hier zu Lande nie.

Nur bei wenigen Gelegenheiten schwappte von seiner weltweiten Berühmtheit etwas in seine Heimat zurück: Eine war das Erscheinen des Buches "Gödel, Escher, Bach" von Douglas R. Hofstadter - eines internationalen Bestsellers, der zum "Kultbuch" avancierte.

Gödel und die Kognitionsforschung

Der Wissenschaftspublizist Hofstadter brachte Kurt Gödels wichtigste mathematische Erkenntnis, den "Gödelschen Unvollständigkeitssatz", in einen engen Zusammenhang mit dem Wesen des menschlichen Denkens: Nur, weil der Unvollständigkeitssatz gilt, so Hofstadter, könne die "Maschine Gehirn" so etwas wie Verstand oder Vernunft hervorbringen.

Die These gilt unter Experten der Kognitionsforschung als interessant, aber gewagt. Indes begeistert sie immer neue Generationen von Sachbuch-Lesern bis heute.

Richtig oder falsch?

Unumstritten ist, dass der von Kurt Gödel im Jahr 1931 in Wien publizierte "Unvollständigkeitssatz" die Mathematik weit gehend umkrempelte: Ein knappes halbes Jahrhundert lang hatte das Hauptanliegen der Zahlenakrobaten darin bestanden, die "Vollständigkeit" der Mathematik herzustellen und auch zu beweisen.

Als Hilbert-Programm, nach dem bekanntesten Rechengenie seiner Zeit, David Hilbert, der es im Jahr 1900 bei einem Vortrag an der Pariser Sorbonne verkündete, ging das Forschungsziel in die Geschichte ein.

Vollständigkeit im Sinne Hilberts hätte bedeutet: Jeder mathematische Satz ist richtig oder falsch. Genau gesagt: Diese Frage lässt sich immer klar und eindeutig entscheiden. Und von der exaktesten aller Wissenschaften, die sich auf präzise Definitionen und Beweisführungen gründet, könnte man solches wohl erwarten. Kein Mathematiker bezweifelte, dass die vollständige Entscheidbarkeit, dass dieser "stabile Zustand" der Mathematik erreichbar sei.

Der Gödelsche Unvollständigkeitssatz

In den allgemeinen Konsens platzte 1931 Gödels revolutionäre Erkenntnis: "Jedes hinreichend mächtige Kalkül enthält unentscheidbare Sätze." So der ominöse Satz, der ausschließt, dass selbst die Mathematik, diese Wissenschaft der absoluten Präzision, jemals zu einem abgeschlossenen System ausgebaut werden kann. Und zwar grundsätzlich, wie immer man es anstellt.

Der Satz wurde von Gödel dabei mit eben jener mathematischen Sicherheit, also unwiderlegbar bewiesen. Die höchst vertrackte Methode der Beweisführung trägt als "Gödel-Nummerierung", englisch "Gödel-Numbering", heute ebenfalls seinen Namen. "Ich weiß, dass ich nichts weiß." - Als eine moderne, mathematisch gesicherte Version des berühmten Sokrates-Ausspruchs wurde und wird Gödels Satz oft interpretiert: Wir wissen nicht - und wir wissen sogar, dass wir niemals wissen werden.

Kurt Gödel wurde 1939 aus Wien vertrieben. Er flüchtete im letzten Moment auf abenteuerliche Weise mit der Transsibirischen Eisenbahn quer durch die Sowjetunion. Immerhin konnte er dank seiner Reputation auf ein festes Angebot des "akademischen Emigrantenlagers", des "Institute for Advanced Study" in Princeton zählen.

Ab 1940 wurde er dort zum engsten Freund und Gesprächspartner Albert Einsteins. Für den Physiker berechnete Gödel eine Klasse von Lösungen der Allgemeinen Relativitätstheorie, die "Gödel-Universen".

Genie und Wahnsinn

Noch eine zweite "Spruchweisheit", neben der vom unerkannten Propheten, trifft auf Kurt Gödel zu: Genie und Wahnsinn liegen eng beieinander. Als Kind hatte Gödel an einem rheumatischen Fieber gelitten. Folge der Krankheit und der starken Medikamente, die ihm verabreicht wurden, waren Depressionen und paranoide Zwangsvorstellungen, die sein Leben verdüsterten.

Ab etwa seinem 30. Lebensjahr verschlimmerten sich die wahnhaften Schübe zusehends, und schon in Wien hielt sich Gödel immer wieder in psychiatrischen Sanatorien auf. In Princeton konnte er nur noch dank ständiger, massiver Medikation halbwegs selbstständig leben: Der brillante, unerreicht scharfsinnige Mathematiker fürchtete sich fast zu Tode vor Geistern und Gespenstern.

Als seine Frau Adele krank in ein Spital gebracht werden musste, verhungerte er buchstäblich: Getrieben von der Zwangsvorstellung, vergiftet zu werden, weigerte er sich, andere Nahrung als die von Adele zubereitete zu sich zu nehmen. Kurt Gödel starb am 14.1. 1978 in Princeton.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Dienstag, 18. April bis Donnerstag, 20. April 2006, 9:05 Uhr

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