Afrikas Geister

Die Ökonomie der Hexerei

Vom sperrigen Titel sollte man sich nicht abschrecken lassen, denn wer die Geduld aufbringt, sich auch durch manchmal banale Schilderungen David Signers durchzulesen, wird mit einer bemerkenswerten und neuen Sichtweise auf Afrika belohnt werden.

David Signers Kernthese lautet: Die wirtschaftliche Rückständigkeit und das Scheitern der meisten Länder südlich der Sahara, ein modernes demokratisches Staatswesen aufzubauen, ist auf den ungebrochenen Glauben an Hexerei zurückzuführen. Wobei die Hexerei im Zentrum eines komplexen Systems steht, das Neid auf wirtschaftlichen Aufstieg ebenso umfasst wie die Furcht, aus Neid verhext zu werden.

In einem Dorf in Burkina Faso war ein Mann Muslim geworden und konnte fortan auf die traditionellen kostspieligen Opfer verzichten. Mit dem dadurch gesparten Geld konnte er sich ein Mofa kaufen. Misstrauisch von den anderen Dorfbewohnern verfolgt, die sich den plötzlichen Wohlstand nicht erklären konnten, blieb ihm am Ende nichts anderes übrig, als das Mofa in seinem Zimmer zu verstecken und wieder sein altes Fahrrad zu benützen.

Abweichler unerwünscht

David Signer gliedert sein Buch in zwei Teile. Auf etwa 350 Seiten schildert er - manchmal ermüdend detailfreudig - seine Erlebnisse, die er im Laufe einiger Jahre mit verschiednen Hexern und Heilern Westafrikas gesammelt hat.

Im zweiten Teil reicht er dann auf knapp 100 Seiten eine Analyse seiner Erfahrungen nach, die er zu einer Theorie verdichtet. David Signer zeigt das Dilemma, in dem sich viele junge Afrikaner befinden: Einerseits, nämlich in der modernen Sphäre der Schule und des Berufslebens, wird von ihnen erwartet, dass sie gebildeter, wohlhabender, also insgesamt erfolgreicher werden als ihre Eltern. In der traditionellen Sphäre wird aber eben dieser Fortschritt sehr oft als Provokation der althergebrachten egalitären und hierarchischen Ordnung empfunden.

Der Abweichler wird zur Ordnung gerufen, wird - primär mit psychischem und sozialem Druck - gezwungen, an seinen zugewiesenen Platz zurückzukehren (beispielsweise die Schule zu verlassen, um sich nicht allzu sehr über die anderen zu "erheben"). Was im Hexereiglauben individualisiert und dem bösartigen Neid einer einzelnen, erfolglosen Person zugeschrieben wird, ist in Tat und Wahrheit die anonyme, zurückbindende Kraft der konservativen Hierarchie.

In der traditionellen dörflichen Ordnung, wo man mangels Handel die landwirtschaftlichen Produkte nicht nach auswärts verkaufen konnte, sondern innerhalb der Dorfgemeinschaft verteilen musste, erfüllte der Glaube an die Hexerei eine stabilisierende Funktion, doch unter den Bedingungen von freier Marktwirtschaft und Demokratie wirkt er kontraproduktiv, denn er lähmt jegliche Eigeninitiative.

Faszinierende Einsichten

Signer scheut sich nicht zu generalisieren, was ihm Kritiker sicher ankreiden werden. Allerdings gelingt es ihm dadurch, faszinierende Einsichten zu vermitteln. So führt er beispielsweise die Unwilligkeit oder Unfähigkeit vieler afrikanischer Staaten, sich aus der Schuldenfalle zu befreien, darauf zurück, dass Gläubiger-Schuldner-Beziehungen dem traditionellen Schema vom Patron und seinem Klienten entsprechen, der sich ihm unterordnet. In egalitären Gesellschaften ist man bemüht, Schulden zu begleichen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, doch im traditionellen Afrika, wo die Sozialbeziehungen autoritär und hierarchisch sind, besteht keine Motivation, die Schuld-Beziehung aufzulösen. Abhängigkeit bedeutet hier auch Schutz.

Ähnliche Erklärungen liefert Signer für viele andere Probleme Afrikas, etwa für die mangelhafte Verwaltung vieler Staaten oder die geringen langfristigen Investitionen. Selbst wenn man im Einzelfall nicht zustimmen mag, das Verdienst Signers liegt darin, den Blick des Lesers auf die psychische Ebene Afrikas zu lenken, die bei der Betrachtung des Kontinents häufig vernachlässigt wird.

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Buch-Tipp
David Signer, "Die Ökonomie der Hexerei. Warum es in Afrika keine Wolkenkratzer gibt", Peter Hammer Verlag, ISBN 3779500175