Karl May aus der Perspektive von Kabarettisten

Winnetou lebt!

Drei tapfere Kabarettisten wollen das Werk Karl Mays neu erlebbar machen. O. Lendl spielt 36 Messer, die Haarlocke Winnetous und eine ganze Prärie. I Stangl mimt einen wilden Grizzly und das Feuerross und Mike Supancic gibt viel Blut und Winnetous zierliche Füße ab.

Drei tapfere Halbbluter reiten durch die Prärie

Lieber Leser, weißt du, was das Wort 'Greenhorn' bedeutet? - Eine höchst ärgerliche und geringschätzige Bezeichnung für jeden, auf den sie angewendet wird! - 'Green' heißt grün, und unter 'horn' ist Fühlhorn gemeint. Ein 'Greenhorn' ist demnach ein Mensch, der noch grün, also neu und unerfahren im Land ist und seine Fühlhörner behutsam ausstrecken muss, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen will, unliebsam anzustoßen ...

In mehreren tausend Auflagen liegt dieser Romananfang vor. "Winnetou 1" ist der Titel des dazugehörigen Buches, und die Rede ist von "Old Shatterhand" alias Karl May, der in bitterer Armut in einer Großfamilie mit 14 Kindern aufgewachsen ist und mehrmals wegen diverser kleinkrimineller Delikte zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde. 1874 erschien seine erste Erzählung, 1892 schloss er mit einem Freiburger Verlag einen Vertrag über die Veröffentlichung seiner "Gesammelten Reiseromane“ ab, in der u. a. auch "Winnetou 1" erschien.

Winnetou reitet wieder

Nachdem Karl Mays Westerngeschichten um edle Rothäute, geldgierige Bleichgesichter und Männerfreundschaften schon vielfach verfilmt und bei diversen Festspielen mit echten Pferden und rauchenden Colts im Freien aufgeführt worden sind, haben sie nun auch Eingang auf die Kleinkunst- und Kabarettbühnen des Landes gefunden.

"Winnetou lebt“ heißt die aktuelle Kabarett-Co-Produktion, in der vor kurzem O’Lendl, I.Stangl und Mike Supancic die Wiener Kulisse in einen Saloon verwandelte - samt Cowboys, Squaws und jeder Menge Bleichgesichter samt Feuerwasser. Eine gewisse Sehnsucht nach Wildwest-Romantik und der Weite der Prärie ist - dank der euphorischen Publikumsreaktionen - feststellbar; und das, obwohl sich längst herumgesprochen hat, dass Karl Mays Geschichten über Männerfreundschaften, edle Rothäute und feige Banditen alles andere als politisch korrekt und voll von Rassismus, Frauenfeindlichkeit und historischen Irrtümern sind.

Eine Lesung der anderen Art

Die drei üblicherweise als Solo-Kabarettisten agierenden Protagonisten von "Winnetou lebt“ haben eine Lesung der anderen Art zusammengestellt: O’Lendl, I.Stangl und Mike Supancic lesen aus einer konzentrierten Fassung des Romans, der 1893 erstmals erschienen ist, spielen diverse Szenen und switchen in rasantem Tempo zwischen den Figuren. Ein ewig kichernder Sam Hawkens marschiert hier ebenso auf wie der knorrige Büchsenmacher Sir Henry, der Indianerhäuptling Intschu'tschuna, der Bösewicht Santer und selbstverständlich die späteren Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand. Auch die Prärie, Bäume, die sich im Wind wiegen, und sogar ein Marterpfahl erwachen zu kabarettistischem Leben.

Der Autor Karl May muss sich jedenfalls einiges gefallen lassen. O’Lendl, I.Stangl und Mike Supancic drehen und wenden die Texte und stöbern jede Menge schwülstiger Formulierungen, rassistischer Bemerkungen und kitschiger Landschaftsbeschreibungen auf - zum eigenen und zum Gaudium des Publikums.

Die Kommentare der Protagonisten

Mike Supancic:"Wir drei wollten eigentlich immer schon etwas gemeinsam machen. Wir treffen uns ja wöchentlich zu einem Jour Fix und reden über das Kabarett. Ja, und da war plötzlich Winnetou im Raum. Er verkörpert das Edle, das kennt man aus der Jugend. Und plötzlich hat uns dieses Thema gereizt. Allerdings war es relativ schwierig, diesen langen Roman 'Winnetou 1' so zusammenzukürzen, dass man doch den Handlungsstrang drinnen hat. Dabei sind wir auf viele Dinge gestoßen, die uns als Kinder gar nicht aufgefallen sind: Sachen wie Rassismus, Frauenfeindlichkeit oder die homoerotische Ebene“.

I Stangl:: "Für uns ist das ein kleines Zwischenprogramm. Wir sind drei Freunde und wollten einmal was Lustiges miteinander machen. Wir haben das ganz bewusst als ein lustiges Projekt angelegt. Punkt. Da ist nichts Intellektuelles drinnen. Man kann sich vielleicht über den Karl May wundern, heimgehen und nachblättern, aber viel mehr ist es auch nicht. Denn Karl May heutzutage zu zerlegen, ist nicht wichtig. Für die literarische Welt ist das unbedeutend, für die Kabarettwelt ist es auch nicht wichtig. Es ist Trash! Aber 95 Prozent dessen, was wir auf der Bühne lesen, ist der Originaltext von Karl May. Wir sind immer mehr draufgekommen, dass es sich dabei um Comics handelt!"

O.Lendl: "Das Comic-Artige entsteht natürlich auch dadurch, dass wir so viel streichen mussten. Man muss innerhalb eines Satzes klar machen können, welche Figur nun auf der Bühne steht und dies auch mit großen Gesten deutlich machen. Es muss klar sein: Das ist jetzt der Sam Hawkens oder der Tangua, weil wir ja permanent die Rollen wechseln“.

Hör-Tipp
Contra, Sonntag, 26. März 2006, 22:05 Uhr

Mehr dazu in Ö1 Programm

Veranstaltungs-Tipps
Klaus Eckel gastiert mit "Helden des Alltags“ im Kabarett Niedermair bis 1. April 2006, im Theater am Alsergrund jeden Sonntag und im Linzer Posthof am 7. April 2006.

Olaf Schubert zeigt im Kleinkunsttheater Carambolage in Bozen sein aktuelles Programm "Boykott", für das er in die Rolle des kauzigen Liedermachers schlüpft. Dieser Auftritt ist am 31. März auch in "Kabarett direkt" ab 20:00 Uhr in Ö1 zu hören.

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