Eine lebende Bibliothek
Von der Weisheit der Erzähler
Ein Griot hat viele Aufgaben: er ist Erzähler, Sänger, Historiker. Er speichert die Daten der Familiengeschichte. Er gibt das Wissen weiter, das schon die Alten von ihren Griots gelernt haben. Und er unterhält seine Hörer mit Geschichten.
8. April 2017, 21:58
Birago Diop hat man als Griot-Schriftsteller bezeichnet. Ein irreführender Begriff, denn Birago Diop war Schriftsteller, aber kein Griot. Es war nicht seine Aufgabe, die umfangreiche mündliche Überlieferung, die Familiengeschichte, das geographische Wissen, die Lehrerzählungen, die Satiren, Legenden, Gruselgeschichten, die Preislieder usw. zu bewahren und weiterzugeben.
Er war Tierarzt, hatte aber eine ausgeprägte Neigung zur Lyrik und zur Kurzgeschichte. Und er lebte in einer historisch bedeutsamen Zeit: in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg bereitete sich Afrika intellektuell auf die Aufgabe vor, das Joch des Kolonialismus abzuwerfen.
Ein Leben voller Geschichten
1906 wurde Birago Diop in einem Vorort von Dakar geboren. Genauer gesagt, irgendwo auf den neun Kilometern zwischen dem Ort, wo seine Familie wohnte und dem Ort, wo sein Vater arbeitete: seine hochschwangere Mutter hat sich zu Fuß auf den Weg gemacht, um seinem Vater das Mittagessen zu bringen.
Birago Diops Leben ist voll von solchen Geschichten, und er hat sie gewissenhaft aufgezeichnet. Möglicherweise wurde er dazu in frühester Kindheit angeregt: nach dem frühen Tod seines Vaters ging seine Mutter zu ihrer sehr großen und einflussreichen Familie, zu der auch der Griot Amadou Koumba gehörte, zurück.
Ablehnung durch die Familie
Mit Worten konnte schon der Kleine gut umgehen, nur nützte ihm das in der Schule gar nichts: sein Lehrer war davon überzeugt, dass er schummele, und seine Abschlussarbeit am elitären Lycée in Saint-Louis benotete er mit 0 Punkten, obwohl er nicht beweisen konnte, dass sein Schüler abgeschrieben hatte.
In Frankreich hatte Diop dann Umgang mit der künstlerischen und intellektuellen Szene Frankreichs und der "Mouvement Nègres". Und in Frankreich lernte er auch seine Frau kennen, eine Weiße. Die Familie ist entsetzt und wütend, weil nun eine "Toubabesse" zu ihnen gehören sollte und sie daher mit dem Makel einer "ménage domino" behaftet waren, also diverse Schwierigkeiten rassistischen Ursprung zu erwarten hatten. Grund genug für Birago Diop, sich von seinen Leuten möglichst fern zu halten.
Schicksalhafte Begegnung
dauernd auf Reisen, und auf einer dieser Reisen traf er den Griot seiner Großmutter wieder: Amadou Koumba. Eine schicksalhafte Begegnung, denn mit dem Entschluss, "Bibliothek an Geschichte und Geschichten" nicht mit dem Tod dieses Griot untergehen zu lassen, wurde er in seinem Selbstverständnis zum Schriftsteller.
"Geübt" hatte er sich im Schreiben schon mit seinem Tagebuch, das er seit seiner Schulzeit führte. Aus dem umfangreichen Material stellte er 1978 bis 1989 fünf Bände Memoiren, zusammen.
Eine lebende Legende
Birago Diop war trotz seiner weißen Frau bei den Schwarzen ein geachteter Mann, weil er als streitbarer Mann, wie das damalige "comme-il-fâut" es vorschrieb, sich gegen die kleinen und großen Bosheiten der Kolonialbehörde und anderer Rassisten wehrte.
Zur Legende wurde er in Dakar durch eine Art Duell, einen Boxkampf, bei dem er seinen Gegner durch ein klassisches K.O. besiegte. Der Anlass: Der Franzose hatte Diops Frau in übelster Weise angepöbelt. Als die Polizei gerufen wurde, weigerte sich der Beamte, Diop zu verhaften. "Unmöglich", sagte er, "das ist Doktor Diop!" Die Angelegenheit blieb ohne juristische Folgen. In Dakar wurde Diop als "Rächer" gefeiert, und seine Frau als "Gattin des Boxers" wurde von den Taxifahrern umsonst kutschiert.
1947 erschien der erste Band seiner "Geschichten des Amadou Koumba", und fast sofort wurde er von den europäischen Intellektuellen, allen voran Jean-Paul Sartre, gefeiert. Er bescheinigt Birago Diop in seinem "Orphée Noir" Dichtung "von schlichter Majestät".
Service
Birago Diop, "Geistertöchter. Die Geschichten des Amadou Koumba", Peter Hammer Verlag, ISBN 3872947826