Die Bibel der Gastronomie und deren Kritiker
Wenn die Haube drückt
Kein Land hat so viele Gourmetführer wie Österreich. Der anonyme Tester wird zum wichtigen Faktor für Gedeih oder Verderb eines Restaurants. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Manche zweifeln daher an der Wichtigkeit der Prüfer.
8. April 2017, 21:58
Was bedeutet für einen Gourmet der Begriff Essen?
Ob sie nun "Gault Millau", "Guide Michelin", "A la Carte" oder "Wo isst Österreich?" heißen: Österreichs Wegweiser durch den Küchendschungel werden immer mehr. Aber gerade die Vielzahl von Gourmetführern beweist die Tatsache: Über Geschmack lässt sich streiten. Dies merkt man auch an den verschiedenen Aussagen der österreichischen Primtester und Spitzengastronomen.
Empfehlung wichtiger als Bewertung
Gourmets moderner Prägung sind gut informierte Esser, die sicher keine Belehrungen mehr nötig haben", sagt der Feinschmecker der Nation, Christoph Wagner, bekannt durch seine wöchentlichen Kolumnen im "Profil" und seinen Restaurantführer "Wo isst Österreich". Darin vergibt er nämlich keine Hauben oder Sterne, sondern "Herzerln" und "Lippen". Er wolle lediglich empfehlen, aber nicht bewerten: "Gastrokritik ist so gut wie unmöglich. Es kommt auf die Sichtweise an, ähnlich wie in der Schule:
"Gourmetführer sind ähnlich einer Zeugnisverteilung, und die Tester kann man mit der Position des Landesschulinspektors vergleichen", meint er und führt als Beispiel dazu an: "Laut Studien wird ein- und derselbe Deutschaufsatz von 50 Lehrern mit Noten von 1 bis 5 beurteilt. Während dabei dem einen die Rechtschreibung wichtig ist, ist für den anderen der Inhalt ausschlaggebend. Genauso verhalten sich die Tester in der Gastrokritik: Für manchen Prüfer ist die Fehlersuche wichtig; andere wiederum hängen nicht an den Details, z. B. ob etwas nicht ganz durchgebraten ist, sondern schauen auf das Gesamtbild".
Wenn Tester zum Albtraum werden
Eine Haube könne auch ganz schön drücken, meint Christoph Wagner. Der Anforderung, in der Küche zu jeder Zeit das Optimum zu erzielen, sei nicht unbedingt jeder Koch gewachsen: "Die Haube ist ein Spiegel der Eitelkeit des Kochs und geschäftspolitisch nicht unerheblich. Wenn man Hauben verliert, wirkt sich das auf das Budget, aber auch auf die Befindlichkeit der Köche aus. Das kann auch schwerwiegende Einflüsse auf das Familienklima haben", sagt der Gourmetexperte. Sogar Selbstmorde seien - wie ja einige Beispiele In Frankreich und Deutschland beweisen - nicht auszuschließen.
Christian Grünwald, Herausgeber des Gourmetführers "A la Carte" und Chefredakteur des gleichnamigen Magazins, meint hingegen, dass sich die Gastronomen vor den Testern nicht wirklich fürchten müssen: "Kein Guide hat die Macht, etwas nachhaltig zu ruinieren. Es macht sogar Sinn, dass es verschiedene Führer gibt, denn kommt man bei einem vielleicht einmal schlechter weg, sehen wiederum viele andere die Arbeit als stabil an". Grünwald führt auch die hohe Dichte an Gourmetführern auf die Menge an guten Restaurants in Österreich zurück.
"Gault Millau" setzt auf mehr Kontrolle
Mehr als 25 Jahre lang hat Michael Reinatz den "Gault Millau Österreich" betreut und in dieser Zeit für Ehrgeiz, Siegeswillen und wohl auch Verzweiflung bei Österreichs Spitzenköchen gesorgt. Seine Nachfolger, Karl und Martina Hohenlohe, wollen sein Werk fortsetzen und dabei noch mehr geschulte, unabhängige Tester einsetzen. Die Haube sei hierzulande immer noch die wichtigste Auszeichnung, ist Karl Hohenlohe überzeugt, doch auch andere Gourmetführer hätten ihre Berechtigung:
"Ich glaube, dass der Österreicher gerne Tests liest, gerne bewertet und sich auf Bewertungen verlässt. Als Beispiel fällt mir da etwa der Konzertbereich ein. Die Besucher sagen doch oft erst, nachdem sie die Kritiken gelesen haben, ob ein Konzert gut oder schlecht war. Das ist eine Eigenheit der Österreicher".
Kritische Spitzenköche
Manfred Buchinger ist Padrone und Chefkoch der "Alten Schule" in Riedenthal bei Wolkersdorf in Niederösterreich. Mit diesem Restaurant hat er sich einen Traum erfüllt, nachdem er Jahrzehnte lang in vielen erstklassigen Häusern gekocht hatte. Seine höchste Auszeichnung waren zwei Hauben im Hotel Intercont. Heute seien ihm die nicht mehr so wichtig, erklärt er sein eher gespaltenes Verhältnis zu Restaurantführern: "Führer sind gefährlich, weil damit auch die Köche geführt werden. Alle lesen die Guides und glauben, genau in jene Richtung kochen zu müssen, wo es drei, vier Hauben gibt. Genau das sollten sie aber nicht!"
Auch Helmut Graf richtet sich nicht unbedingt nach Gourmetführern. Denn mitunter findet er deren Inhalt schlichtweg unverschämt: "Es gibt Tester, die vom Essen keine Ahnung haben. Man kann zum Beispiel auch nicht etwas beurteilen, was man selbst nicht gerne isst. Außerdem neigen die Guides dazu, dass sie leider oft voneinander abschreiben", sagt er.
Unschätzbare Auszeichnung
"Für Köche bedeuten ein oder zwei Sterne eine unschätzbare Auszeichnung, vor allem international gesehen", meint hingegen Thomas Stockmayer von "Michelin Österreich". Dieser Gourmetführer ist nun bereits zum zweiten Mal im vergangenen Herbst herausgekommen. Stockmayer verweist auf die Professionalität des Unternehmens, nicht nur, wenn es um Autoreifen geht:
"Unsere Tester sind fix angestellt; sie müssen vorher fünf bis zehn Jahre in leitender Position gearbeitet haben. Ein Michelin-Inspektor ist etwa 30.000 Kilometer pro Jahr unterwegs; dabei führt er etwa 800 offizielle Inspektionen durch, macht etwa 240 Restaurantbesuche und übernachtet etwa 130 Mal anonym in den Hotels, die er testet".
Der VIP Gourmet Guide
Seit kurzem gibt es in Österreich mit dem "VIP Gourmet Guide" einen neuen Gourmetführer, der im Gegensatz zu den anderen ganz auf die Meinung der Gäste setzt. Dieser Tage soll die nächste Edition herauskommen. Wolfgang Rosam, PR-Agenturchef und Herausgeber dieses Guide, hält seine Methode für die objektivste: "Bei uns ist der wichtigste Tester der Gast. Wenn es dem Gast nicht schmeckt, nutzt es auch nichts, ob das Restaurant, in dem er isst, zwei oder drei Hauben hat, denn der Gast entscheidet letztendlich, ob er wieder kommt, und damit entscheidet der Gast auch über Erfolg oder Misserfolg des Restaurants", meint er.
VIP-Gourmet-Club-Mitglieder können in diesem Guide via SMS, Callcenter, Internet oder Fragebogen über ihre Lieblingslokale abstimmen. Rosam sieht anhand der Testergebnisse mittlerweile auch bereits ein Umdenken bei den Restaurantbesitzern: "Die Wirte fürchten sich bereits vor den Gästen, obwohl sie immer wieder betonen, dass Gäste keine Profitester sind. Ich antworte darauf immer: Es sind doch die Gäste, die die Rechnung bezahlen. Wollen Sie ein volles Lokal oder mit drei, vier Hauben in Schönheit sterben? Haube hin, Haube her, im Prinzip geht's doch nur um das Eine - um's Geld Verdienen".
Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 16. März 2006, 18:25 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Links
Gourmedia Wagner & Egle - Wo isst Österreich
Speising Net - Christoph Wagners Weblog
Forum Gastronomie - GastroRap
Tourismuspresse - Guide Michelin Österreich
Manfred Buchinger - Gasthaus zur Alten Schule
Gault Millaut Österreich
A la Carte
VIP Gourmet Club