Spielen als Betäubungsmittel
Pillen gegen die Spielsucht
Mitte der 90er Jahre überstiegen die Ausgaben der Amerikaner für Casinobesuche erstmals jene für Kinobesuche. Heute sind sie 2,5 Mal so hoch. In 430 US-Casinos werden 26 Milliarden Dollar umgesetzt. Sieben Prozent der Amerikaner gelten als spielsüchtig.
8. April 2017, 21:58
40.000 Dollar kann ein Croupier in einem renommierten Casino verdienen, sogar 60-70.000 pro Jahr, wenn man es gelegentlich mit Walen zu tun hat, wie man in Las Vegas jene Spieler nennt, für die Einsätze unter 100.000 Dollar Kinderkram sind.
Fernab des berühmt berüchtigten Strip mit seinen millionenschweren Luxushotels gibt es insgesamt 14 Casino Gaming Schools, die vierwöchige Schnellkurse zum Traumjob anbieten. In einer dieser hat Nick Kallos in den letzten 14 Jahren 10.000 Menschen im Alter zwischen 21 und 75 zu Dealern, wie man in den USA zu den Croupiers sagt, ausgebildet.
Sein wichtigster Ratschlag betrifft aber nicht das Handwerkliche des zukünftigen Traumjobs, sondern die geistige Grundeinstellung: Nie dürfe ein Dealer selbst spielen, niemals. Sonst erstatte man nur seinen Verdienst dem Casino zurück. Wenn man selbst zum Spieler werde, laufe man Gefahr, sich ein paar Häuserblocks weiter wieder zu finden: In Dr. Robert Hunters "Problem Gaming Center".
Eine typische Spielergeschichte
6,6 Prozent der Einwohner von Las Vegas zählt der Psychologe zu den Spielsüchtigen, jeder zweite in Vegas kennt zumindest einen Menschen, der ein Casino-Problem hat. Bei 13 Prozent aller Privatkonkurse werden Spielschulden als Begründung angegeben.
"Als ich vor 15 Jahren von New York hierher zog, war Spielen für mich einfach nur Spaß, erzählt Christine, eine ehemalige Klientin von Robert Hunter, die, nunmehr clean, in seiner Praxis als Sekretärin arbeitet. "Ich hatte einen interessanten Job und wundervolle Kinder zu Hause. Spielen war anfangs entspannend. Aber ich würde sagen, innerhalb von drei Jahren habe ich gemerkt, dass ich unglaublich viel Geld verlor. Es ging soweit, dass ich bald mein ganzes Gehalt verspielte. Also musste ich mir Geld ausborgen, um meine Rechnungen zahlen zu können. Das ging alles sehr schnell. Nach meiner Scheidung war ich dann zusätzlich gelangweilt und einsam. Das Spielen war mein einziger Freund. Ich saß also viele Stunden vor einem Video-Poker-Automaten, und während ich spielte, waren alle Sorgen wie weggewischt. Nachher dachte ich nur mehr an Selbstmord."
Geschlechtsspezifische Unterschiede
Die Geschichte von Christine ist keine ungewöhnliche: Durchschnittliche Spielsüchtige sind 34 Jahre alt, weiblich und haben zwei Kinder. Frauen spielen eher am Automaten und suchen eine Flucht aus dem Alltag, während Männer, wie Robert Hunter erläutert, eher zu Sportwetten tendieren und den Erlebnischarakter suchen.
"Was den Problemspieler vom Vergnügungsspieler unterscheidet, ist die Fähigkeit wegzutreten. Im Gehirn spielen sich chemische Vorgänge wie bei einem Alkoholiker ab. Der Problemspieler ist nicht aufgeregt vor Glück, Gambeln ist für diese Menschen ein schmerzstillendes Betäubungsmittel. Das hat nichts mit Psychologie und viel mit Biologie zu tun."
An der University of Nevada in Las Vegas beschäftigen sich einige Historiker mit der Geschichte des Glücksspiels, die Universität leistet sich aber auch ein industrieunabhängiges Spielforschungslabor. In diesem findet man neben Roulette-, Würfel- und Pokertischen auch von jedem Spielautomaten eine Variante.
Mit Spielautomaten machen die Casinos 75 Prozent ihre Umsatzes. Gab es 1989 in den USA gerade einmal 185.000 einarmige Banditen, so sind es heute 750.000.
Video-Poker vergleichbar mit Crack
Für den Psychologen und Soziologen Bo Bernhard, der das Gaming Resarch Laboratory leitet, ist Video-Poker in seiner Wirkung vergleichbar mit Crack: es ist billig und macht schnell abhängig.
Und so testet Bo Bernhard auch mögliche Medikamente gegen die Spielsucht. Im Vergleich zur Alkoholismus-Forschung sei man aber 50 Jahre hinten nach mit der Erforschung der Spielsucht, da dürfe man sich noch nicht zu viel erwarten.
Die Zukunft des Glückspiels
Seit das Automatenspiel vom stigmatisierten Rand der Gesellschaft ins Zentrum der Populärkultur gewandert ist, machte sich Bo Bernhard Sorgen, dass die heranwachsende Nintendo-Generation in die immer buntere und schnellere Welt der Spielautomaten vollends hineinkippen könnte.
Umsonst. Für die, von der Playstation verwöhnten, Jugendlichen seien Automatenspiele viel zu langsam und daher uninteressant. Viel gefährlicher erscheinen Bo Bernhard aber die Möglichkeiten des Internet:
"In der Zukunft wird das Glücksspiel unsere TV-Fernbedienung erreichen, am Handy werden wir spielen können oder auf einem vernetzten Organizer. Websites mit Sitz in der Karibik können jeden PC in einen Spielautomaten verwandeln. Da wissen wir nicht, ob das fair abläuft und wir können den Gefährdeten auch nicht helfen. Das beunruhigt mich sehr."
Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 15. März 2006, 19:05 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Link
Center for Gaming Research