Textilproduktion in einer globalisierten Wirtschaft
Vom Spinnrad zum Sweatshop
Viele transnationale Textil- und Sportartikelhersteller haben sich unter dem Druck der Konsumenten freiwillige Selbstverpflichtungen auferlegt, in denen sie beteuern, sich an internationales Arbeits- und Sozialrecht zu halten und Umweltvorschriften zu befolgen.
8. April 2017, 21:58
Tragen die selbst auferlegten Verhaltenskodices der transnationale Textil- und Sportartikelhersteller zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen an den verlängerten Werkbänken im Süden bei oder handelt es sich um reine PR-Strategien? Der Lokalaugenschein in Indien ist mehr als ernüchternd.
Miserable Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne
Die ausgelagerte Textilproduktion geht weiterhin massiv zu Lasten von Mensch und Umwelt.
Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Textilarbeiterinnen sind miserabel, die Löhne sind niedrig, Überstunden werden selten bezahlt, es gibt keine Arbeitsverträge, von "Codes of Conduct" - freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen, sich bei der Produktion an grundlegende arbeits- und sozialrechtliche Standards zu halten, sowie nicht Umwelt schädigend zu produzieren - haben die meisten noch nie gehört (Für solche Fabriken steht heute der Begriff "Sweatshop").
Geschichte der Ausbeutung
Die Geschichte der Textilindustrie ist eine Geschichte der Ausbeutung. "Das gilt für alle Bereiche der Industrialisierung", sagt Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber nüchtern und erinnert daran, dass die Situation in Europa vor rund 200 Jahren durchaus ähnlich war, mit Ausbeutung, skandalöser Kinderarbeit und Umweltskandalen.
Am Beginn dieser Entwicklung steht die Mechanisierung der Textilproduktion mit der Erfindung von Baumwollspinn- und Webmaschinen: die industrielle Revolution. Baumwolle ist fortan der wichtigste Rohstoff der Textilindustrie. Mitte des 19. Jahrhunderts wird in England mehr als die Hälfte der Weltbaumwollernte verarbeitet.
Die nordamerikanischen Baumwollproduzenten, die um 1850 fast 68 Prozent der Weltversorgung mit Baumwolle abdecken, können kostengünstig liefern, weil sie auf ihren Plantagen schwarze Sklaven einsetzen.
Der globale Handel mit Textilien
Faktum ist, dass sich an der Textilindustrie wichtige Stationen der weltwirtschaftlichen Entwicklung festmachen lassen. Die Textilindustrie als Initialzündung für die Industrialisierung, die andere Industrien nachzieht; die Geschichte der Textilindustrie als Beispiel für Phasen der Globalisierung.
Heute steht China im Mittelpunkt, wenn es um globalen Handel mit Textilien geht. Dort wird nach dem Auslaufen des Welttextilabkommens Anfang 2005 und dem Ende der Quotenregelung, die bislang die Warenströme von Asien Richtung Europa und die USA geregelt haben, auf "Teufel komm raus" produziert.
China, der Wachstumsmotor der Weltwirtschaft, Nummer vier im Ranking der internationalen Wirtschaftsmächte. Ganz nach dem WTO-Ziel "Liberalisierung und Abbau von Handelshemmnissen" kommen nun textile Billigstimporte auf die westlichen Märkte.
Mitte 2005 wurde es den USA und der EU zu viel - sie zogen die Notbremse, die EU verhandelte eine Begrenzung der Exporte bis 2007. Im August stoppte die EU-Kommission die Einfuhren, weil die jährlichen Höchstmengen erreicht waren. 80 Millionen Textilien, die schon vorher verschifft worden waren, stauten sich vorübergehend in europäischen Zollhäfen. Die Übergangslösung wird die langfristige Entwicklung freilich nicht aufhalten.
Sieger und Verlierer
Die Giganten China und Indien stehen dabei nicht nur in erbittertem Konkurrenzkampf untereinander, ihre Textilmaschinerie, gespeist von einem Heer billigster Arbeitskräfte, rollt auch über alle anderen Länder des Südens hinweg.
Länder wie Kambodscha oder Bangladesch werden auf der Strecke bleiben. Und Europa wird sich von seiner bisherigen Textilindustrie über kurz oder lang verabschieden müssen. Wer ehemals traditionelle Zentren der Textilindustrie wie das österreichische Waldviertel betrachtet, weiß, dass dies vielerorts bereits geschehen ist.
"Die neue Entwicklung wird die Zahl der Beschäftigten in der europäischen Textilindustrie halbieren", sagt einer, der es wissen muss: der Vorstandsvorsitzende der Linz Textil, Dionys Lehner. Die Linz Textil ist ein High-Tech-Betrieb, der einer Geisterfabrik ähnelt: Arbeiter sind kaum zu sehen. Denn die Linz Textil stellt ihre Viskosegarne mit einem Maschinenpark her, der State-of-the-art ist.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 6. März bis Donnerstag, 9. März 2006, 9:05 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendereihe "Radiokolleg" gesammelt jeweils am Donnerstag nach Ende der Ausstrahlung im Download-Bereich herunterladen.