Erzählungen von Josef Haslinger
Zugvögel
Autobiografische Anklänge finden sich in den Werken des Waldviertlers Josef Haslinger bislang eher selten. Das hat sich mit dem aktuellen Erzählband "Zugvögel" geändert. Sieben kürzere Geschichten versammelt er da auf gut 200 Buchseiten.
8. April 2017, 21:58
Der Titel von Josef Haslingers neuem Buch, "Zugvögel", trifft die Sache insofern, als es sich bei den jeweiligen Ich-Erzählern um Reisende handelt. Um etwas verlorene Reisende meist, die sich ihrer Ziele nicht so sicher sind. In diesen Protagonisten ist unschwer auch der Autor selbst zu erkennen.
Amerika von oben
Ich kam zu später Nacht in New York an und fühlte mich gleich wie zu Hause in Wien: Ich fand keinen Parkplatz.
Im Text "Amerika. Ein Reiseepos" erlebt ein Wiener Schriftsteller Amerika von oben: Nach einigen misslichen Erlebnissen im amerikanischen Straßenverkehr gelangt er in den Besitz eines Dauerflugtickets, mit dem er ein Jahr lang kreuz und quer durch die USA fliegen darf, gratis. Geld hat der Eremit in den Flugzeugkabinen bald nicht mehr.
Die Nächte waren anfangs schwierig, es gab nicht so viele Langstreckenflüge, auf denen ich fünf, sechs Stunden schlafen konnte. Zum Glück entdeckte ich, dass in den größeren Flughäfen überall Clubs für Vielflieger eingerichtet waren, zu denen ich Zutritt hatte. Dort gab es bequeme Liegestühle. Meist gab es auch Duschen. Waschmaschinen und Wäschetrockner gab es leider nur in Cincinnati und Phönix - was auf meinen Flugplan erheblichen Einfluss hatte.
Fremd gewordene Heimat
Aus dem amerikanischen Luftraum ins Waldviertel. Dorthin folgt ein Literaturdozent aus Leipzig dem Alarmanruf seiner betagten Mutter. Grund: Im Dorf gibt's im Gefolge eines Begräbnisses heftigen Streit. Der Sohn, als Kind mit einem der Kontrahenten eng befreundet gewesen, soll schlichtend eingreifen.
Ich ging die Dorfstraße hinab. Ein paar Autos kamen mir entgegen, die Fahrer grüßten mich. Ich grüßte zurück, obwohl ich sie nicht kannte. Sie waren, als ich im Dorf gelebt hatte, noch nicht auf der Welt gewesen.
Ein Städter im fremd gewordenen ländlichen Ambiente aus Wiesen und Wäldern, Traktoren und Rinderställen. Der Ausflug ins Dorf seiner Kindheit wird für ihn auch zu einer Reise in die eigene Vergangenheit.
Ein Name für den Asteroiden
Nächste Station im bunten, meist komisch bis skurril geratenden Reise-Potpourri: Dalmatien. In einer Imbissbude am Strand spielt die Titel gebende Geschichte des Bandes: "Zugvögel". Auftritt: ein alternder Schriftsteller aus Österreich, ein alternder Schauspieler aus Zagreb, der in deutschen Fernsehkrimis das Rollenfach des Balkan-Böslings besetzt, eine seiner Freundinnen, deren Tochter Mirjana, Musikerin mit esoterischen Tendenzen im attraktiven Alter von 22, und: ein Astronom, spezialisiert auf Asteroiden. Der hat gerade ein neues, unbekanntes Himmelsobjekt entdeckt. Sein 314tes. Nun braucht er einen Namen für den Felsbrocken im All. Gar nicht so einfach: Den eigenen hat er schon vergeben und auch seine sämtlichen Verwandten, Freunde und Ex-Geliebten waren schon mehrfach dran.
"Ich mach das", sagte Mirjana. "Ich hab' in Kanada einen Freund, der wird den Namen auspendeln." (...) "Etwas benennen, heißt, es in seine Gewalt zu nehmen." - "Das ist eine seltsame Theorie", sagte Zlatko und schluckte hinunter. "Ein Asteroid, den wir benennen, hat für uns eine Identität. Deshalb haben wir doch keine Gewalt über ihn. Wenn es ihm gefällt, uns in 5.000 Jahren zu durchlöchern, müssen wir erst sehen, ob wir ihn in unsere Gewalt kriegen."
Der kleine Disput zwischen nüchterner Wissenschaft und ganzheitlicher Weltsicht endet, wie er enden muss: Der neu entdeckte Asteroid wird nach Mirjana benannt.
Haslinger von seiner komischen Seite
In seinem neuen Erzähl-Band präsentiert sich Josef Haslinger von seiner komischen Seite. Mit feiner Beobachtungsgabe, nicht mit dem großen Gestus von "Opernball" oder "Vaterspiel", dafür mit schelmischem Humor schildert er die Freuden und Nöte seiner Figuren, die er diesmal offenbar auch persönlich gut kennt. Hier wird nicht in großen Zahlen gestorben, hier geht's um einfachere Dinge: Es wird gegessen und geplaudert, geschmunzelt und gelacht. Und das kann auch der Leser angesichts der sieben heiteren Reisegeschichten dieses kurzweiligen Bandes.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 3. März 2006, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 5. März 2006, 18:15 Uhr
Mehr dazu in Ö1 Programm
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Josef Haslinger, "Zugvögel", S. Fischer Verlag, ISBN 3100300572