Im Gespräch: John Irving
Das muss ein Europäer sein!
"Die meisten Amerikaner lesen Bücher darüber wie sie besser Golf spielen, oder besseren Sex haben könnten, oder wie sie besseren Sex beim Golfspielen haben können. Wenn Schriftsteller politisch aktiv werden, stößt das auf wenig Resonanz" (John Irving)
8. April 2017, 21:58
John Irving
Michael Kerbler: Mister Irving, Sie sagten es vorhin, Charles Dickens, dessen Charaktere und dessen Schaffen für soziales Engagement gestanden ist, ist für Sie ja auch Vorbild. Welche Rolle sehen Sie denn für amerikanische Schriftsteller, was das soziale Engagement angeht, im Gegensatz zu europäischen Schriftstellern. Worin haben Sie die bessere Position? Worin sehen Sie Ihre Funktion? Beneiden Sie manchmal die europäischen Schriftsteller?
John Irving: Ja, ich beneide die europäischen Schriftsteller, denn die amerikanische Kultur hält Schriftsteller nicht für sehr wichtig. Wenn ein Schriftsteller oder Schauspieler oder auch sonst jemand in der Unterhaltungsindustrie politisch aktiv ist, dann liegt der Roman - was die Wahrnehmung betrifft - ganz unten auf der Interessensskala. Der Grund ist, dass weniger als 1 Prozent aller Erwachsenen in Amerika Bücher lesen, und wenn sie Bücher lesen, dann viel mehr Sachbücher, als Romane. Die meisten lesen Bücher darüber wie sie besser Golf spielen, oder besseren Sex haben könnten, oder wie sie besseren Sex beim Golfspielen haben können. Also, wenn Schriftsteller politisch aktiv werden, dann stößt das nicht auf sehr viel Resonanz.
Wenn man eine politische Haltung hat, und diese auch begründet, dann wird das nicht ausgestrahlt. Oder man wird in den amerikanischen Medien für diese Haltung scharf kritisiert. Für jegliche politische Meinung, auch wenn man sie in einem Roman schreibt.
Von meinen elf Romanen sind nur zwei politisch, nämlich "Owen Meany" und "Gottes Werk und Teufels Beitrag". Beim ersten geht es um den Vietnam- Krieg, beim zweiten um die Geschichte der Abtreibung in den USA. Wegen dieser beiden Romane wurde ich heftig kritisiert, wenn ich über den Vietnam-Krieg und zur Abtreibung Position bezog.
"Bis ich dich finde" ist kein politischer Roman. Es ist ein sozialer Roman. Es geht um Familie und sexuelle Störungen, und wenn ich dann politische Kommentare oder bloß nur Witze darüber mache in einem Fernseh-Studio, dann schütteln sie nur den Kopf und deuten mir "Das senden wir nicht!". Aber selbst als ich im Fernsehen auftrat, weil ich meinen Roman und auch den Film "Gottes Werk und Teufels Beitrag" herausgebracht hatte, verlangten einige Studios, dass ein Kardinal die gleiche Redezeit wie ich bekommen sollte. Ich frage "Hat er einen Film gemacht? Oder ein Buch darüber geschrieben?". Aber das ist eben diese übertriebene Korrektheit, dass jeder die gleiche Zeit zur Meinungsäußerung haben soll, auch wenn es keine sehr gescheite Meinung ist.
Andererseits: komme ich nach Europa ist es für mich, je nachdem welcher Schwachkopf gerade im weißen Haus sitzt, sehr schwer, in einem Interview über mein Buch zu reden. Auch wenn es überhaupt nicht politisch ist. Die Interviewer wollen immer nur über die politischen Ereignisse sprechen, und ich muss sagen "Entschuldigen sie, ich habe einen Roman geschrieben, und ich bin nicht Donald Rumsfeld". Aber wenn ich wählen müsste, dann würde ich lieber ein Schriftsteller in Europa sein als in den USA.
Lassen sie mich eine Anekdote erzählen. Ich ging zu einer Party, als der Film "Gottes Werk und Teufels Beitrag" herauskam. Es war eine Party der Auslandspresse, also von diesen Verrückten, die für den "Golden Globe" verantwortlich sind, und sobald ich dort ankam, stürzten sich drei Leute sofort auf mich, und ich sagte zu dem Vertreter des "Miramaxx Studios", der neben mir stand: "Das müssen Europäer sein, denn sie erkennen einen Schriftsteller". Und daraufhin sagt die erste Frau, die auf mich zugeht: "Ich liebe Ihre Fernsehserie!". Sie und die anderen dachten, ich sei der Filmschauspieler Martin Sheen. Es ist schwer zu verallgemeinern, aber sie haben hier eine ganz andere Kultur, überall in Europa, als wir sie in den USA haben.
Ich glaube aber auch, es wäre nicht gut, Schriftsteller zu sein und dortzu leben, wo man zu sehr geschätzt wird.
Wien war ja die erste Stadt wo ich Ausländer war, 1963 und 1964. Bevor ich nach Wien kam, sagte mir ein älterer Schriftsteller in Amerika: "Es ist gut, dass du hingehst, denn du sollst dich einmal wie ein Ausländer fühlen, in einem anderen Land, denn wenn aus dir jemals ein guter Schriftsteller wird, dann wirst du dich wie ein Ausländer im eigenen Land fühlen", und ich fühle mich immer mehr als Ausländer in Amerika, aber das ist nicht unbedingt schlecht. Einer meiner ältesten Schriftsteller-Freunde ist Steven King, und er kann nirgendwo hingehen, ohne dass ihn jemand erkennt, oder versucht ihn zu überfahren. Letzten Sommer waren wir gemeinsam in Vermont und wir wollten frühstücken, auswärts, mit meinem jüngeren Sohn, und ein Nachbar von mir hat uns gesehen. Also, er hat glaube ich weder meine noch Steven Kings Bücher gelesen, aber er ist gebildet, obwohl er Republikaner ist, wir reden über gewisse Dinge einfach nicht, und er ist ein guter Nachbar, er schickt mir immer meinen Hund nach Hause, und ich schicke seinen Hund nach Hause. Mein Hund irrt sich immer im Haus und ich sage dem Hund: "Das ist ein Republikaner, wieso gehst du dorthin?", aber trotzdem, mein Nachbar ist auch ein bisschen ein Snob, und er sah mich und Steven King und er fragte mich: "Das ist doch Steven King?". Ich nickte, und er meinte "Du kennst ihn?". Ich sagte "Wir sind Freunde", und darauf meinte er "seltsam, weil ihr habt doch eigentlich nicht viel gemeinsam", denn obwohl er, glaube ich, weder seine noch meine Bücher gelesen hatte, hielt er mich doch eher für einen literarischen Schriftsteller, und Steven King schreibt eben Horror. Und er dachte sich, was können die gemeinsam haben? Nun, was haben wir gemeinsam? Weder Steven King, noch ich würden jemals etwas schreiben, in dem nicht auch wirklich verstörende Elemente enthalten sind. Auch Dickens begann im Horror- und Gothic Genre, also der Leser wird verstört, geängstigt, er fühlt sich unwohl.
Steven King ist mein Freund, aber ich mag es nicht, wenn er mich ängstigt. Wir gingen einmal zu mir nach Hause, und er sah diese Sandsäcke, die wir im Ringer-Raum haben, also das sind so Mann-ähnliche große Sandsäcke, mit denen man die Würfe übt, weil man will ja nicht jedes Mal einen lebenden Partner mit dem Kopf voran auf den Boden knallen. Steven King sagte also: "Du weißt schon, dass sie zum Leben erwachen?". Am liebsten hätte ihm diese Sandsäcke geschickt. Also, das gefällt mir an ihm nicht, aber sonst sind wir gute Freunde.
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 23. Februar 2006, 21:01 Uhr
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Buch-Tipp
John Irving: "Bis ich dich finde", Diogenes, ISBN 3257065221
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CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop
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Diogenes Verlag