Wie die USA mit dem Flüchtlingsproblem umgehen

Flüchtlingsrefugium North-Dakota

North Dakota ist der kälteste und einsamste Bundesstaat der USA. Die Einwohnerzahl sinkt beständig. Deshalb hat sich die Stadt Fargo entschlossen, politische Flüchtlinge aufzunehmen, für die im Einwanderungsland USA sonst nirgends Platz ist.

Liberianische und sudanesische Flüchtlinge berichten

North Dakota, zwischen Montana im Westen und Minnesota im Osten gelegen, ist der kälteste und einsamste aller US-Bundesstaaten: Auf 183.000 Quadratkilometern - gut zweimal die Fläche Österreichs - leben gerade mal 642.000 Menschen. Die Einwohnerzahl fällt stetig. Immer mehr Jugendliche ziehen weg, in vielen Landkreisen gibt es weniger als 20 Geburten pro Jahr.

Die Stadt Fargo hat deshalb beschlossen, diejenigen aufzunehmen, für die das Einwanderungsland USA sonst keinen Platz hat - politische Flüchtlinge aus Krisenregionen rund um den Globus.

Das Sibirien Amerikas

Einst war Fargo ein bedeutender Umschlagplatz für Getreide und Rinder. Doch die Einwohnerzahl sank und sank. Die dortigen Farmerfamilien strebten in ihrer Abgeschiedenheit danach, ihren Kindern einmal ein besseres Leben zu ermöglichen. Hinzu kamen die Blizzards, die berüchtigten Schneestürme im Winter, die in dieser Gegend schon ganze Eisenbahnzüge begraben haben. In keinem US-Staat, mit Ausnahme von Alaska, ist es im Winter so kalt wie in North Dakota.

1998 erreichten Bevölkerungsexodus und der damit einhergehende Mangel an Arbeitskräften ein so dramatisches Ausmaß, dass Fargo sich - mehr als hundert Jahre nach der Erschließung von North Dakota - zu einem zweiten Besiedlungsprozess entschloss. Seither nimmt die Stadt all diejenigen auf, für die das Einwanderungsland USA sonst keinen Platz hat: politische Flüchtlinge aus Krisenregionen rund um den Globus.

Ein Tropfen auf dem heißen Stein

Die USA setzen die Zahl der Flüchtlinge, die sie aufnehmen wollen, jedes Jahr neu fest: 2004 wurden 70.000 Zulassungen genehmigt. Das ist mehr als jedes andere Land der Welt. Aber angesichts der elf Millionen Flüchtlinge, die es weltweit gibt, natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Hinzu kommt, dass seit einiger Zeit Amerika immer weniger Flüchtlinge aufnimmt. Das ist nicht erst seit den Terroranschlägen vom 11. September der Fall. Die Zulassungen sinken seit Anfang der 1990er Jahre.

Es gebe berechtigte Bedenken, dass die Amerikaner sich nicht mehr für Flüchtlinge engagieren wollen, sagt Abigail Price, Direktorin beim International Rescue Committee in New York: "Viele Städte und Gemeinden sind tatsächlich ausgelastet. In New York zum Beispiel wird keiner mehr aufgenommen, wenn er nicht schon ein Familienmitglied hat, das hier wohnt. Boston muss auch wählerisch sein, weil es da schon zu viele Arbeitslose gibt und die Mieten sehr teuer geworden sind".

Bezahlung über Durchschnitt

Die Zuwanderer machen mittlerweile acht Prozent der Gesamtbevölkerung in North Dakota aus. Ohne sie wären Fabriken wie etwa der Isolierglasspezialist "Cardinal Glass" längst weggezogen. Ihr Firmenchef, David Pinder, betont, dass seit Beginn der Flüchtlingsinitiative von Fargo sich der Personalbestand auf 250 versechsfacht hat. Jeder dritte seiner Teamleiter ist ein Zuwanderer. Anders als in vielen amerikanischen Firmen üblich, zahlt "Cardinal Glass" auch jedem Mitarbeiter eine Renten- und Krankenversicherung. Bei Erreichen der Geschäftsprognose gibt es sogar eine Gewinnbeteiligung, von der auch Franklin, ein erst kürzlich aus Liberia geflüchteter Migrant profitiert:

"Die Kälte hier macht mir hier zwar sehr zu schaffen, aber wenn ich meine Situation mit dem vergleiche, was ich von Flüchtlingen aus anderen Staaten höre, dann ist North Dakota besser. Ich zahle 400 Dollar Miete für meine Dreizimmerwohnung; das ist nur halb so viel wie in Texas, Virginia oder New Jersey. Ich mag es auch, dass ich hier so viele Überstunden machen kann: Ich bekomme zwölf Dollar für jede Überstunde. Wenn ich fleißig bin, kann ich damit jede Woche bis zu 450 Dollar extra dazu verdienen".

Selbstständigkeit oberstes Gebot

Doch so kollegial die Stimmung und vergleichsweise fürstlich entlohnt die Arbeit bei "Cardinal Glass" ist: Das Unternehmen steht auch dafür, wie die USA generell mit Flüchtlingen umgehen. Anders als im benachbarten Kanada oder in Europa, wo Vertriebene oftmals gar nicht arbeiten dürfen, müssen sie in Amerika sehr schnell selbstständig werden.

Die Stadt Fargo stellt den Flüchtlingen nur während der ersten drei Monate nach der Ankunft eine mietfreie Bleibe zur Verfügung. Wer nach einem halben Jahr keine Arbeit gefunden hat, muss - wie jeder andere Amerikaner - von 560 Dollar Sozialhilfe im Monat leben. Die US-Politiker glauben, dass sich dadurch eine bessere Integration bewirken lässt. Tatsächlich lebt in North Dakota nur jeder zehnte Flüchtling unter der Armutsgrenze.

Die Kehrseite der Medaille

Die lokale Einwanderungsbeauftragte Darci Asche sieht aber auch Kehrseiten: "Viele Flüchtlinge haben eine ganz falsche, illusionäre Vorstellung von Amerika: Sie kennen das Land nur aus dem Fernsehen und sind enttäuscht, wenn sie hier hart, sehr hart arbeiten müssen. Viele sind immer noch traumatisiert von dem, was sie erlebt haben, und trotzdem so frustriert, dass sie direkt wieder nach Hause wollen".

Problematisch ist auch, dass North Dakota den Flüchtlingen keine hochqualifizierten Jobs bieten kann: Chirurgen arbeiten als Pfleger; Aufstiegsmöglichkeiten bieten sich generell erst in der zweiten Generation: "Flüchtlinge, die sich hier selbstständig machen wollen, haben es ebenfalls schwer: Auch bei der Überbrückung von kulturellen Unterschieden gibt es noch Aufholbedarf", sagt Asche.

50 verschiedene Sprachen

Der Bürgermeister von Fargo, Bruce Furness, spricht auch die Fremdenfeindlichkeit in seiner Stadt an, die manchmal auch über rassistische Parolen hinausgeht. Jedes rassistische Verbrechen lässt er jedoch auf's Schwerste bestrafen: "Die Kriminalitätsrate von Fargo ist seit 1995 um 40 Prozent gesunken; der letzte Mordfall liegt fünf Jahre zurück", betont er. Furness will dennoch auch künftig forcieren, dass möglichst verschiedene Flüchtlingsgruppen in Fargo angesiedelt werden:

"Nur ein oder zwei Ethnien hier zu haben, wäre natürlich einfacher für die Schulen: Die Kinder hier sprechen 50 verschiedene Sprachen! Natürlich gibt es Probleme, dass Menschen, die aus einer Gegend kommen, dazu tendieren, Enklaven zu bilden und sich nicht anpassen. Daher will ich für die Zukunft, dass jeder, der nach Fargo kommt, Englisch lernt. Das Geld dafür müssen wir - ebenso wie die höheren Gesundheitsausgaben - eben von den Steuern abzweigen", fordert Furness.

Zufriedene Lost Boys

Die meisten Flüchtlinge sind jedenfalls zufrieden. Justine, einer der so genannten Lost Boys - einer Gruppe von etwa 40.000 Waisenkindern, die aus dem Sudan geflohen sind und erst nach einer fünfjährigen Odyssee das Flüchtlingslager Kakuma im Nordwesten Kenias erreicht hat: "Ich bin zu Fuß von Äthiopien in den Sudan geflüchtet, es gab viele Krankheiten. Ich weiß nicht einmal, wie alt ich bin; ich weiß nur, dass die Rebellen mich damals auf der Flucht nicht anheuern wollten, weil ich ihnen zu klein war. Ich habe nie gelernt, was Spaß bedeutet. Trinken, rauchen, in die Disko gehen, Mädchen: all das sagt mir nichts. Aber ich vermisse es auch nicht, denn ich bin dankbar, dass mein Leben jetzt viel besser ist als früher".

Justine lebt heute mit zwei anderen Lost Boys in einem schmucklosen Betonbau am Stadtrand von Fargo. Nachts arbeitet er am Fließband bei Harley Davidson, tagsüber besucht er die Universität: " Ich habe im Fernsehen gesehen, dass die Regierung aus dem Norden und die Rebellen im Süden jetzt Frieden geschlossen haben. Ds motiviert mich. Ich will zurück und meinem Land helfen. So etwas wie wir erlebt haben, darf nicht noch einmal passieren", ist er guten Mutes.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 21. Februar 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Link
Wikipedia - North Dakota