Wie geht Argentinien mit seiner Vergangenheit um?

Die Babys aus den Folterkammern

Während der Militärdiktatur kamen in Argentiniens geheimen Folterzentren etwa 500 Kinder zur Welt. Sie sind Miltärs übergeben worden, die sie als ihre eigenen Kinder groß gezogen haben. 75 wurden bisher ausfindig gemacht. Sie sind heute Ende Zwanzig.

Großmutter Elsa Pavon zum Schicksal ihrer Enkelin Paula

Nicht weniger als 500 Babys kamen während der argentinischen Militärdiktatur in geheimen Folterzentren auf die Welt. Sie wurden Militärs übergeben, die sie als ihre eigenen Kinder groß gezogen haben. Die Militärdiktatur ging 1983 zu Ende, aber erst 75 von diesen entführten Babys konnten bis jetzt ausfindig gemacht werden. Heute sind sie Ende Zwanzig.

Wie gehen sie damit um, dass sie von Familien aufgezogen wurden, die mit den Mördern ihrer Eltern gemeinsame Sache gemacht haben? Einige haben mit den Adoptiveltern völlig gebrochen, andere wiederum wollen von ihren biologischen Familien nichts wissen.

Geboren und entführt

"Als sie meinen Vater verhaften wollten, habe ich erfahren, dass er früher bei der Marine gewesen ist. Sie haben mir gesagt, dass ich nicht seine biologische Tochter, sondern wahrscheinlich im Folterzentrum ESMA geboren worden bin.“

Victoria Donda war 25 Jahre alt, als die Polizei den Mann abholen wollte, der sie aufgezogen hat und den sie für ihren Vater hielt. Bei seiner Festnahme jagte er sich eine Kugel in den Mund, überlebte aber. Während der Militärdiktatur war er Offizier im Folterzentrum ESMA, der Mechanikerschule der Marine: dort, wo Victorias Onkel das Kommando führte; dort, wo ihre Mutter gefoltert wurde; dort, wo sie ihre Tochter auf die Welt brachte. Von ihrer Mutter fehlt bis heute jede Spur. Sie ist "verschwunden“. Erst ein Gentest brachte Victoria die Gewissheit über ihre wirkliche Herkunft.

Die Großmütter vom Maiplatz

Ein Gentest bewies auch die Identität von Paula Logares, ehemalige Lavalén. Ihr Vater wurde zwar nicht wegen Mordes verurteilt, sondern nur wegen Fälschung der Identität einer Minderjährigen. Er verbüßt derzeit eine vierjährige Haftstrafe.

Paula, die nicht interviewt werden wollte, ist damals im Alter von neun Jahren ihrer Großmutter, Elsa Pavon, übergeben worden - eine der Gründerinnen der "Großmütter vom Maiplatz".

Brutkästen von Mercedes Benz

Während der Militärdiktatur verschwanden mindestens 12.000 Regimegegner. Auch von etwa 500 schwangeren Frauen und Frauen mit Kleinkindern fehlt bis heute jede Spur. Sie brachten in den Folterkammern ihre Babys auf die Welt. Brutkästen waren damals von der Firma Mercedes Benz Argentina - heute Daimler Chrysler - gespendet worden - so die vereidigte Aussage eines früheren Mercedes-Managers.

Ein Zufall, dass in der Familie des Produktionschefs der deutschen Autofirma drei illegal adoptierte Kinder auftauchen? Die Justiz ermittelt. Ein Gentest wurde bisher nicht angeordnet, und die Kinder - heute erwachsene Männer - lehnen diesen Test auch ab.

Angst vor Veränderung

Von den insgesamt 500 entführten Kindern sind bis heute erst 75 gefunden worden:

"Alle Menschen haben Angst vor der Veränderung. Wir entwickeln dagegen Widerstand“, sagt Juan Cabandie: "Wir wuchsen in den Adoptivfamilien mit einem Schuldgefühl auf. Wir sind der lebende Beweis dafür, dass unsere Eltern uns geraubt haben. Ich meine die Leute, die wir für unsere Eltern gehalten haben.“

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Montag, 20. Februar 2006, 18:25 Uhr

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Link
Wikipedia - Argentinien