Volker Sommer und seine anderen Kulturwesen

"Ich bin ein Affenmensch"

Volker Sommer beschreibt sich selbst als einen Hedonisten, der von der Evolution überzeugt ist und den Wandel als das Prinzip des Planeten Erde sieht. Großes Aufsehen erregte sein Buch "Lob der Lüge", in dem er u. a. den Beitrag der Lüge zur Evolution beschreibt.

Schon als Kind hat sich der deutsche Anthropologe und Primatologe Volker Sommer für die Natur interessiert. So versuchte er u. a. Ameisenkolonien anzulegen und züchtete Schmetterlinge. Diese Leidenschaft und Faszination für die Evolution und ihre Geschichte ließ ihn nicht mehr los.

Bruder Affe

Wenn man Volker Sommer über seine Forschungen und Schlussfolgerungen erzählen hört, ist die Faszination, die Affen auf ihn ausüben, nicht zu übersehen: "Bestimmte Gensequenzen stimmen bis zu 99,4 Prozent mit jenen des Menschen überein", zitiert er etwa Forschungsergebnisse der Wayne State University Detroit. Es gibt auch viele Genetiker, die sich dafür einsetzen, dass Schimpansen und Bonobos in die nur für Menschen bestimmte Gattung "Homo“ aufgenommen werden:

"Selbst der begnadetste Haarspalter muss bei 0,6 Prozent Unterschied einfach aufgeben, soll das System zoologischer Klassifikation nicht ad absurdum geführt werden“, betont Volker Sommer und meint auch, das Urteil, dass die Menschen die einzigen Kulturwesen seien, müsse revidiert werden: "Menschenaffen leben in hochkomplexen Gesellschaften. Sie verfügen über eigene Traditionen, jagen, können Werkzeuge anfertigen und diese benutzen. Sie können Nüsse knacken, und sie können sich den Menschen gegenüber mit Zeichen verständigen, die Wissenschaftler für sie entwickelt haben".

Lob der Lüge

Zur Auseinandersetzung zwischen Evolutionsbiologen und Philosophen, ob der Mensch das Maß aller Dinge ist oder ob höher entwickelte Tiere wie z. B. Menschenaffen Bewusstsein besitzen, meint Volker Sommer: "Die Menschenaffen haben eine Fähigkeit ausgebildet, die auch Menschen besitzen und die sie - manche öfter, andere selten bis nie - einsetzen: Affen können lügen. Sie können Strategien entwickeln, um ihre Feinde abzulenken, und sie sind in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen".

In seinem Buch "Lob der Lüge. Täuschung und Selbstbetrug bei Tier und Mensch“ zeigt der Primatologe, wie Menschenaffen u. a. andere täuschen, um sich die Existenzgrundlage zu sichern. So wird von einem älteren verletzten Affen berichtet, dem die Jüngeren sein Fressen weggenommen hatten. Da er aber zu den Beschützern der Gruppe gehört, stößt er einen fingierten Alarmruf aus, sodass die jüngeren Affen auf die Bäume flüchten und er in Ruhe fressen kann: "Für ihn eine Überlebensstrategie", sagt Sommer.

Menschenaffen haben Gefühle

Manchmal wirkt der 51-jährige Professor für evolutionäre Anthropologie, der am University College in London unterrichtet, resigniert, vor allem wenn er erzählt, wie Schimpansen in der Forschung für Versuche eingesetzt werden, wenn sie mit AIDS oder Hepatitis infiziert werden, wenn sie verkrüppelt oder in Einzelhaft gehalten werden, um ihr Verhalten zu beobachten. Die Affinität von Menschen und Affen impliziert auch eine emotionale Nähe:

"Menschenaffen haben Gefühle, sie können Schmerzen empfinden und mit anderen Kreaturen Mitleid haben. Affen können aber auch Menschen anschwindeln: Ein von Menschen trainierter Orang-Utan gab durch Zeichensprache zu verstehen, dass er 'auf's Klo' müsse. Nach einiger Zeit merkten die Forscher, dass er gar nicht auf die Toilette musste, sondern nur 'herumgammelte' - der Orang-Utan wollte einfach in Ruhe gelassen werden".

Artenvielfalt nur für Ästhetiker?

Auch wenn er selbst Hilfsprojekte für gefährdete Menschenaffen ins Leben gerufen hat, so etwa ein Projekt im westafrikanischen Staat Nigeria im Gashaka-Gumti National Park, meint Sommer dennoch, dass die Artenvielfalt "nur“ eine ästhetische Anschauung sei, weil es einfach für Menschen schöner wäre, mehr Abwechslung zu sehen.

Die Natur an sich müsse sich nicht unbedingt über Vielfalt definieren, denn alles ist seiner Überzeugung nach permanentem Wandel unterworfen, und gerade dieser Wandel könne - so der Anthropologe - letztendlich auch das Ende unserer Zivilisation bedeuten. Andererseits weist der Deutsche verzweifelt darauf hin, dass es in einiger Zeit kaum mehr wilde Menschenaffen geben werde. Schätzungen zufolge werden vielleicht 250.000 überleben, und dies entspräche gerade der Einwohnerzahl einer Stadt wie Linz.

Nicht frei von Schuld

Die Zerstörung der Lebensräume der Menschenaffen diene der Aufrechterhaltung und Sicherung der westlichen Konsumbedürfnisse, betont Sommer und sieht sich selbst nicht "frei von Schuld"; denn auch er nutzt das Handy und verschließt sich nicht dem so genannten westlichen Lebensstil. Und er nennt zahlreiche Beispiele für diesen Raubbau an der Natur:

"Im Kongobecken werden die Edelhölzer abgesägt, um das Holz für Möbel zu nutzen. In Ruanda wurde der Virunga-Park rücksichtslos verkleinert, um aus der Pyrethrum-Blume das Entlausungsmittel 'Goldgeist' herzustellen. Im Niger-Delta werden Schimpansen von den Ölkonzernen ausgerottet, und im zentralafrikanischen Kahuzi-Biega-Nationalpark gab es noch vor fünf Jahren Tausende von Gorillas. Mittlerweile wurden so gut wie alle aufgegessen, von Menschen die in diesem Gebiet illegal nach Coltan graben - einem Erz, das in Mobiltelefonen verwendet wird und auch in jener Satellitenanlage, die meine Feldstation mit der Außenwelt verbindet. So wird jede SMS zu einem SOS". Diese rücksichtslose Ausbeutung beweist Volker Sommer aber vor allem auch eines: "Der Eigennutz treibt alle Primaten durch's Leben!"

Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 19. Februar 2006, 14:05 Uhr

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