Fremd zieh ich wieder aus

Schuberts "Winterreise"

Nicht nur die Lieder Mozarts und Beethovens bereiten das deutsche Kunstlied vor, weniger bekannte Vorformen sind zu nennen, die helfen, die Brücke zu Wilhelm Müller zu schlagen: zum Verfasser des Gedichtzyklus "Die Winterreise".

Es heißt, das deutsche Kunstlied sei erst von Schubert geschaffen worden, indem er die Stilreform Haydns, Mozarts und Beethovens im Bereich der lyrischen Vokalmusik zum Abschluss brachte.

Aber nicht nur Lieder Mozarts und Beethovens bereiten sie vor, weniger bekannte Vorformen sind zu nennen, die helfen, die Brücke zu Wilhelm Müller zu schlagen: zum Verfasser des Gedichtzyklus "Die Winterreise" und der Textvorlage für das zweite große Liedwerk Schuberts, "Die schöne Müllerin".

Johann Friedrich Reichardt und Karl Friedrich Zelter

Wilhelm Müller, knapp drei Jahre vor Schubert und in Dessau geboren (7. Oktober 1794), ging nach seinem Schulabschluss nach Berlin, wo er nicht nur literarische Salons besuchte, sondern wo auch - das konnte ihm kaum verborgen bleiben - die "zweite Berliner Liederschule" auf ihrem Höhepunkt war.

Hier wirkten Abraham Peter Schulz (dessen Vertonungen von "Alle Jahre wieder" oder "Der Mond ist aufgegangen" nach Gedichten von Matthias Claudius wir noch im Ohr haben), insbesondere aber Johann Friedrich Reichardt und Karl Friedrich Zelter, die Hunderte von Liedern vertonten.

Nicht zuletzt von Goethe, der beide überaus schätzte, auch als Liedkomponisten weit mehr als Schubert. Ihre Vertonungen ordnen sich dem Text unter, Schuberts Vertonungen dagegen schaffen einen vollkommenen Ausgleich zwischen Wort und Musik.

"Lieder der Griechen"

Wann und wie gerieten Schubert die Gedichtzyklen Wilhelm Müllers in die Hände? Müllers "Lieder der Griechen" (erschienen 1821) machten ihn mit einem Schlag berühmt. Der Freiheitskampf der Griechen war zu dieser Zeit ein hochaktuelles und international viel diskutiertes Thema, dem sich auch berühmte Autoren wie Victor Hugo, Puschkin oder Lord Byron widmeten.

So wurde Wilhelm Müllers ein Jahr zuvor veröffentlichte Gedichtsammlung (darin auch "Die schöne Müllerin") möglicherweise erst nachträglich bekannt. Sie sind jedenfalls das Ergebnis ausgedehnter mediterraner Reisen, die Müller als Begleiter eines Baron Sack (möglicherweise eines direkten Nachfahren des Johann Philipp Sack, der maßgeblichen Anteil an der "ersten Berliner Liederschule" hatte) angetreten war.

Rückkehr in die Heimat

Im August 1818 machte sich Müller wieder auf den Weg Richtung Heimat, wo er Ende des Jahres in Dessau eintraf. "Das Vaterland hat mich mit Reif und Schnee und Nebel begrüßt, das wäre noch zu ertragen, aber die Philisterei …", schreibt er in einem Brief.

Die Epoche Napoleons ist zu Ende gegangen, der Wiener Kongress "tanzt", die Epoche der Restauration bricht an, und mit ihr kehrt wieder die "Kleingeisterei" ein, von der uns u. a. Heinrich Heine ("Deutschland, ein Wintermärchen") unterrichtet.

"Die Winterreise"

Wilhelm Müller verfasst "Die Winterreise". Am 7. Juni 1826 schrieb Heine an Müller: "Ich habe sehr früh schon das deutsche Volkslied auf mich einwirken lassen; späterhin, als ich in Bonn studierte, hat mir August Schlegel viel metrische Geheimnisse aufgeschlossen, aber ich glaube erst in Ihren Liedern den reinen Klang und die wahre Einfachheit, wonach ich immer strebte, gefunden zu haben. Wie rein, wie klar sind Ihre Lieder, und sämtliche sind es Volkslieder."

Ein Urteil, das Schubert empfunden hat und wir beim Hören von "Am Brunnen vor dem Tore" noch nachempfinden können. Der Ton, der den gesamten Liederzyklus durchzieht, ist mit vier Zeilen der ersten Strophe ("Gute Nacht") schon angeschlagen: "Fremd bin ich eingezogen,/Fremd zieh’ ich wieder aus. … Nun ist die Welt so trübe,/Der Weg gehüllt in Schnee." In Schuberts Tönen hallt er uns unvergänglich nach.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 6. Februar, bis Donnerstag, 9. Februar 2006, 9:45 Uhr

Download-Tipp
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