Die alten und die neuen stereotypen Bilder

Wie viel Wahrheit liegt in Witzen?

"Jeder Witz ist zur Hälfte wahr", sagt man in Süd-Osteuropa. Die Witze über Volksgruppen sind die komprimierte Form und der Ausdruck unseres Denkens über die jeweilige Gruppe - und manchmal enthalten Witze sogar mehr als die Hälfte der Wahrheit.

"Mujo und Haso (es könnte auch Suljo sein) spazieren durch den Dschungel. Mujo muss plötzlich auf die Toilette. Weil es im Dschungel keine Toilette gibt, geht Mujo natürlich hinter den Busch. Haso wartet auf ihn, blickt in die Natur und bemerkt überall springende Tiere. Und er ruft dem Freund zu: Rasch Mujo, der Zeichentrickfilm hat begonnen."

Die beliebtesten Witze in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien waren jene über Bosniaken. Tausende Witze zirkulierten durch das ganze Land. Und nicht selten wurden sie von den Bosniaken selbst erzählt. Mujo, Haso, Suljo und ihr weibliches Pendant Fata erfreuten das tägliche Leben Jugoslawiens. Ihre Namen waren überall bekannt und beliebt. Sie verkörperten eine Gruppe: die Bosniaken, die Muslime im einstigen Jugoslawien. So wurde eine Volksgruppe zwar nicht als dumme, aber als naive, etwas primitivere Gruppe vorgestellt.

Die Hintergründe

Wie kam es zu dieser Einstellung gegenüber Bosniaken? Wie viel von der Wahrheit liegt wirklich dahinter? Alle, die diese Gegend kennen, werden bestätigen, dass in diesen Witzen mehr als ein Körnchen Wahrheit steckt. Nach dem Ende des Osmanischen Reiches blieben die Bosniaken als Muslime zwischen zwei christlichen Volksgruppen - auf der einen Seite die Serben als Orthodoxe, auf der anderen die Kroaten.

Sie haben eine Art von Zurückhaltung entwickelt, um in der nicht gerade freundlichen Situation zu überleben. Diese Haltung wurde von anderen in unzähligen Witzen, in mehr oder weniger komischen Situationen, als kindische Charakteristik einer ganzen Gruppe festgehalten. Die Frustrationen der Jugoslawen wurden damals über diese "Sündenbockgruppe" dargestellt.

Oft diskriminierend

Leider werden nicht alle aufkommenden Vorurteile in einer komischen Form vermittelt. Viele Vorurteile, die als Stereotype im Umlauf sind, werden als diskriminierende Argumente im täglichen Gebrauch verwendet. Sie fixieren dann unsere Einstellung gegenüber einer gezielten Gruppe. Im politischen Leben sind Balkan, balkanisch und alles Dazugehörige ein ausreichendes Beispiel für Stereotype.

Symptomatische Rede des bulgarischen Botschafters

Das Institut für den Donauraum veranstaltet am 17. Jänner einen Vortrag des neuen Bulgarischen Botschafters in Österreich, Radi Naidenov, unter dem Titel "Die alten und die neuen stereotypen Bilder". Der junge Botschafter, Jahrgang 1962, mit internationaler Ausbildung ist als Bulgare sicher täglich mit verschiedenen Stereotypen konfrontiert. Das Benehmen eines Volkes hängt ja auch von Systemen, in denen es sich entwickelt, ab. Naidenov hat sein Leben in zwei ganz "unterschiedlichen" Bulgarien gelebt, aber es scheint, dass die Vorurteile gleich geblieben, sogar neue dazugekommen sind.

Es ist symptomatisch, dass der bulgarische Botschafter kurz nach Antritt seines Amtes im Herbst des Vorjahres für einen seiner ersten öffentlichen Auftritte dieses Thema wählte. Man darf nicht vergessen, dass er eine ausgezeichnete Vorgängerin im Analysieren von Vorurteilen und Stereotypen in Person der bulgarischen Wissenschaftlerin Maria Todorova hat. Ihr Buch "Die Erfindung des Balkans - Europas bequemes Vorurteil" ist zum Standardwerk geworden.

Wieder nach Bosnien

Wenn es um Bosnien geht, haben Mujo, Suljo, Haso und Fata einen neuen Mitspieler bekommen: den UNPROFOR-Soldaten. "Nachdem ein UNPROFOR-Soldat mit Fata geschlafen hat, fragt sie ihn: Hast du eine Bestätigung, dass du nicht Aids-infiziert bist? Ja, habe ich, antwortet der Soldat. Darauf Fata: Jetzt kannst du sie wegwerfen, sie ist nicht mehr gültig."

Solche neuen Witze aus Bosnien lassen zwei Rückschlusse zu: Entweder stimmt etwas mit der bisherigen Theorie nicht, oder die Situation in Bosnien hat sich nicht wesentlich verbessert.

Buch-Tipp
Maria Todorova, "Die Erfindung des Balkans. Europas bequemes Vorurteil", Primus, 1999, ISBN 3896782096

Links
Carniola - Mujo and Haso: The DVD
Institut für Auslandsbeziehungen - Maria Todorova: Die Erfindung des Balkans
Bulgarisches Forschungsinstitut in Österreich
Bulgarisches Kulturinstitut Haus Wittgenstein
Institut für den Donauraum und Europa
Primus Verlag