Interpretationen von Celibidache, Böhm, Norrington

Johannes Brahms' Erste Symphonie

Diskussionen über Brahms kreisen oft um die Frage: Traditionalist oder doch Neuerer? Hans von Bülow nannte Brahms' Erste Symphonie mit Hinweis auf Beethovens Tradition "Die Zehnte". Ein Interpretationsvergleich mit Celibidache, Böhm und Norrington.

Erste Brahms, 4. Satz: Roger Norrington, Sergiu Celibidache

"Die Zehnte" nannte sie der Dirigent Hans von Bülow, um auf die Tradition Beethovens hinzuweisen, die Brahms so sehr im Nacken saß. Überhaupt: Diskussionen um Brahms kreisen oft um die Frage: Traditionalist - oder doch Neuerer, Meister in der Kopie (Nietzsche) oder kühn und fortschrittlich (Schönberg 1933: "Brahms der Fortschrittliche", nicht der Akademische, der Klassizist versus Wagner)?

Roger Norrington und die London Classical Players haben 1991 die erste Symphonie von Brahms aufgenommen. Es ist dies eine der ganz wenigen Aufnahmen, die versucht, mit schnelleren Tempi und anderen, kleineren Phrasierungen, prägnanteren Artikulationen einen durchsichtigeren Klang bei dieser gewöhnlich mächtig und schwer klingenden Symphonie zu erreichen. Und es wurde auch ein anderes Besetzungsverhältnis Bläser-Streicher gewählt - hier sind die Bläser stärker als gewöhnlich.

Ein anderes Klangbild

Schon im ersten Satz dieser außergewöhnliche Aufnahme entdeckt man ein anderes Klangbild: durchsichtiger, aber nicht weniger dramatisch, macht es dieses Werk dennoch zu keiner "leichten" Symphonie.

Allerdings: Die ungeheure Wucht wie bei Sergiu Celibidache und den Münchner Philharmonikern hat diese Aufnahme nicht.

Vergleich Böhm - Norrington

Lassen wir einmal außer Acht, wie Brahms diese Melodie im vierten Satz durch Bindebögen phrasiert hat (das ist nämlich höchst eigentümlich und richtet sich auch an die Bogenaufteilung der Streicher). Die musikalische Phrasierung ist bei Karl Böhm eigentlich ein großer achttaktiger Bogen, in der Mitte durch eine kleine Zurücknahme der Spannung aufgeteilt, aber nicht wirklich phrasiert.

Bei den London Classical Players unter Norrington ist dasselbe Thema etwas schneller, vor allem aber sehr viel deutlicher phrasiert: hier hat es plötzlich vier kleine Bögen, es ist ein in vier Abschnitte phrasiertes Thema, kein "langer Fluss".

Durchsichtig bei Norrington, nachdenklich bei Celebidache

Sehr auf Durchsichtigkeit bedacht musizieren Roger Norrington und die London Classical Players auch diese wilde Überleitungspassage. Allerdings gehen damit die mächtigen großen Bögen verloren, wie sie Aufnahmen von Böhm mit den Wiener Philharmonikern oder Celibidache mit den Münchnern so auszeichnen.

Und wie anders klingt dasselbe Thema in der Aufnahme mit Celibidache: langsam dahin fließend musiziert wirkt es plötzlich traurig, melancholisch, matt. Immer weiter und weiter, nie geht da die Spannung verloren und fast nie gibt es hier Schlüsse. Aber das C-Dur-Thema ist ein ganz anderes, nachdenkliches und grüblerisches geworden.

Hör-Tipp
Ausgewählt, Mittwoch, 11. Jänner 2006, 10:05 Uhr

Links
AEIOU - Karl Böhm
Wikipedia - Roger Norrington
Münchner Philharmoniker
Wiener Philharmoniker

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