Das Verhältnis junger Muslime zur westlichen Kultur

Koran, Kopftuch, Karriere

Immer mehr Muslime, die in der zweiten und dritten Generation in Österreich leben, versuchen, die Kluft zwischen Orient und der westlichen Kultur zu schließen. Dies geschieht in vielfältiger Form, sowohl in Kunst und Wissenschaft, als auch im Alltag.

Gernot Garib Stanfel zu seinem Religionswechsel

Das Verhältnis zwischen Orient und Okzident ist eine der zentralen politischen und kulturellen Fragen der Gegenwart. Nicht nur Literaten und Künstler sind sich der Bedeutung des Dialogs zwischen dem Islam und dem Westen bewusst. Auch immer mehr junge Muslime der zweiten und dritten Generation beginnen die Kluft zwischen Orient und der westlichen Kultur zu schließen.

In diesem Spannungsfeld zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen muslimisch religiösem Wertesystem und westlichen Einflüssen entstehen dabei neue Kulturformen, und zwar in vielfältigen Formen.

"KanakAttack"

Spätestens seit der Kunstaktion des türkisch-deutschen Autors und Künstlers Feridun Zaimoglu, der im Rahmen seines Projekts "KanakAttack - Die dritte Türkenbelagerung?" die gesamte Fassade des Kunsthallentraktes in Wien mit kleinen türkischen Fahnen schmückte, wurden die unterschwelligen Ängste der Menschen deutlich.

Das Projekt sollte durch die massive symbolische Präsenz der türkischen Flagge vor allem darauf aufmerksam machen, dass bereits nicht nur mehr als 50.000 Mitbürger mit türkischem Migrationshintergrund in Wien leben, sondern dass diese Bevölkerungsgruppe auch den Wiener Alltag mitgestaltet; eine Tatsache, die oft verdrängt wird. Zaimoglu bezeichnete seine Kunstinstallation auch als Beitrag zur Klärung politischer und gesellschaftlicher Fragen in Bezug auf die zweite und dritte Generation von Muslimen in Europa.

Mehr zu "KanakAttack" in oe1.ORF.at

Integration mit Bildungsoffensiven

Die meisten jungen Muslime der zweiten und dritten Generation sehen sich als Teil des Wiener Alltags. Sie wollen Brücken schlagen zwischen den Kulturen der Heimatländer ihrer Eltern und der Kultur, in der sie aufgewachsen sind.

Zentraler Punkt der Integration ist dabei für viele Jugendliche die Bildung. Deshalb werden zunehmend Bildungsoffensiven gestartet, in erster Linie von muslimischen Jugend- und Frauenorganisationen. Wichtig bei allen Qualifikationsmaßnahmen sei das Erlernen beziehungsweise Festigen von Kommunikation und Rhetorik, meint etwa Sefki Kokac, die in Niederösterreich aufgewachsen ist und an der Universität Wien Genetik und Mikrobiologie studiert.

Kritikpunkt Frauenbild

Ganz im Gegensatz zum traditionellen Rollenbild der muslimischen Frauen versuchen die jungen Muslima der zweiten Generation, auch feministische Anliegen in ihrer Kultur zu verankern. Es gehe darum, in einer traditionell von Männern dominierten Gesellschaft spezifische Frauenpositionen abzustecken, sagt Dudu Kütschügöl, die Sprecherin der muslimischen Jugend in Österreich.

Auch Asra Dobraca engagiert sich im Forum muslimischer Frauen für den Dialog aller Muslime der unterschiedlichen Traditionen und Wertesysteme. Sie will mithelfen, den Islam - ihre Religion - von vielen kritikwürdigen Traditionen zu befreien wie etwa Gewaltbereitschaft bis hin zu Terroranschlägen oder Unterdrückung von Frauen und Minderheiten. Genitalverstümmelungen von Frauen, kritikwürdige Traditionen gebe es viele - so Asra Dobraca, die sich auch nebenbei als Diversity Managerin im Sozialbereich ein berufliches Standbein mit den Schwerpunkten Integration und Flüchtlingsarbeit aufbaut. Sie seien in keiner Weise durch die Religion zu begründen. Dobraca betont, eine zentrale Aufgabe der Gesellschaft müsse es sein, Chancengleichheit für die jungen Muslime der zweiten Generation herzustellen.

Weitere Initiatoren für einen Wandel

Ercüment Aytac, der seit 1981 in Österreich ist und aus der Türkei stammt, engagiert sich als Mitarbeiter der Arbeiterkammer und als Projektmanager. Er ist Trainer in der Erwachsenenbildung und arbeitet auch als Übersetzer und Autor, indem er selbst Essays und literarische Texte verfasst. Für ihn sei es wichtig, Sensoren in beide Kulturen - die türkische und die österreichische - zu haben. Deshalb wachsen seine Kinder auch zweisprachig auf.

Der palästinensische Student Muhannad Chorch'ide wiederum beschäftigt sich in einer Studie, welche Bedeutung der Islam für die zweite Generation von Muslimen hat, die in einer nichtislamischen Gesellschaft geboren wurden? In dieser Studie, die im Februar dieses Jahres publiziert wird, sind hunderte umfangreiche Fragebögen unter Jugendlichen verteilt worden. Chorch'ide meint dazu, vielfach würde die Religion unreflektiert von den Eltern übernommen. Die eigentlichen Inhalte des Islam würden dadurch ausgehöhlt und durch regional oft sehr unterschiedliche Traditionen ersetzt.

Musikbeitrag "Islam daham"

Aber nicht nur die jungen Muslime in Österreich wollen einen Wandel zwischen den Kulturen herbeiführen. Der Klosterneuburger Gernot Garib Stanfel ist schon vor 17 Jahren als 20-Jähriger zum Islam konvertiert. Heute ist er als Musiktherapeut in Landespflegeheimen, Sozialzentren sowie in mehreren Behinderteneinrichtungen der Caritas in Niederösterreich tätig. Seine Hinwendung zum Islam war für ihn ein längerfristiger und mühsamer, da erklärungsbedürftiger Weg. Was ihn am Islam so fasziniert habe, sei die Ruhe und Ausgeglichenheit, die für ihn dieser Glaube ausstrahle, sagt er.

Mit seinem Ensemble Bard versucht Gernot Garib Stanfel vor allem durch Musik, Westen und Osten zusammenzubringen und damit österreichische und orientalische Musiktradition ineinander fließen zu lassen. Auch seine Bandmitglieder kommen alle aus unterschiedlichen Kulturen: aus Deutschland, der Türkei, dem Iran und Spanien. Mit der soeben erschienenen CD "Islam daham" will er dazu beitragen, einen österreichischen, zumindest jedoch spezifisch europäischen Islam zu propagieren.

Hör-Tipp
Tao, Freitag, 6. Jänner 2006, 19:05 Uhr

Download-Tipp
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