Wo die skurrilen Typen zu Hause sind

Hinterland

Wyoming, wo sie seit Jahren lebt, scheint es Annie Proulx angetan zu haben. Schon der vor fünf Jahren erschienene Erzählband "Weit draußen" war in diesem US-Bundesstaat angesiedet. Nun folgt mit "Hinterland" eine Fortsetzung dazu.

Während Proulx in "Weit draußen", ihrem vor fünf Jahren erschienene Erzählband, vor allem vom - oftmals dramatischen - Kampf ums Überleben in jener dürregeplagten, sturmgepeitschten Region des mittleren Westens berichtete und die Texte durchwegs von einem tragischen Unterton geprägt waren, erscheint das Wyoming, das in "Hinterland" präsentiert wird, als ein skurriles Rückzugsgebiet für Starrköpfe und Exzentriker aller Art.

Das Leben in Elk Tooth

Der Großteil der insgesamt elf neuen Geschichten spielt in dem fiktiven 80-Seelen-Nest Elk Tooth. Dieses hat neben drei verstunkenen Kneipen und einem Laden für Westernartikel und Futtermittel vor allem jede Menge an Absurditäten zu bieten.

So etwa einen Wettbewerb um den längsten und dichtesten Bart. Beschlossen werden die Wettkampfbedingungen in "Anlehnung an das bei Rodeos übliche Prozedere", unterzeichnet mit Guinness-Bier - "seiner tintenähnlichen Färbung wegen". Mit Begeisterung gehen die Männer von Elk Tooth in die auf ein paar Monate anberaumte Konkurrenz, und so mancher versucht sich mit speziellen Mitteln (etwa Gesichtswaschungen mit einer Lösung aus Viagra-Pillen) einen gewissen Vorsprung zu verschaffen. Als allerdings ein Fremder im Ort auftaucht, dessen Bart bis zur Gürtelschnalle reicht und überdies "zarten Rosenblütenduft" abgibt, ist für die Männer von Elk Tooth der Spaß verdorben und der Wettbewerb wird für beendet erklärt.

Mit Fremden hat man überhaupt so seine Probleme im "Hinterland". Sie sollen am besten dort bleiben, wo sie herkommen: in jenen "fernen Bundesstaaten", in denen es ein echter Wyoming-Typ kaum über längere Zeit aushält, denn "jeder in Wyoming weiß, dass jenseits der Staatsgrenze die rote Hölle beginnt". Veränderungen, Neuerungen sind im Hinterland kaum gefragt - schließlich gilt Wyoming als einer der konservativsten US-Staaten und ist politisch eine der Hochburgen der Republikaner.

Ein Hoch der Tradition

Dass die Skepsis gegen alles, was von außen kommt, allerdings nicht nur aus Klischees und Vorurteilen resultiert, illustriert die Geschichte von Gilbert Wolfscale, eine der berührendsten Erzählungen des Buches. Gilbert ist in der "Abwärtsspirale des Rancherlebens aus Dürre, zu viel Arbeit und zu wenig Geld" gefangen und muss miterleben, wie "Immobilienmakler aus Kalifornien, weltberühmte Ärzte und Coca-Cola-Manager im Ruhestand" immer mehr Farmland aufkaufen, um darauf "vom Landfieber gepackt" "Millionärsluxusschuppen" zu bauen. Gilbert will die tradierten Lebensformen bewahren, will sich nicht kaufen lassen und hält stur am Rancherdasein fest, auch wenn dadurch seine Familie zerbricht.

Die Barfrau Amanda Gribb hingegen, deren Gemüsegarten regelmäßig von den Rindern eines Viehzuchtkonzerns zertrampelt wird, weiß sich effektiver zu wehren: Sie besorgt sich zwei Krokodile zur Absicherung ihres Eigentums.

Lebendige Atmosphäre

Nicht immer sind derartige Schlenker ins Absurde, die Annie Proulx in die meisten ihrer "Neuen Geschichten aus Wyoming" eingebaut hat, auch wirklich geglückt: Einige der Episoden wirken übertrieben, die intendierte Komik ist an manchen Stellen für den Leser nicht mehr nachvollziehbar. So etwa, wenn Proulx einen Ausflug ins Fabelgenre unternimmt und sich ein Dachs vor seinen Artgenossen brüstet, dass eine Farmersfrau sich in ihn verliebt habe.

Überaus lesenswert ist das Buch aber allemal, vor allem deshalb, weil es Annie Proulx hervorragend gelingt, faszinierende, packende Typen zu zeichnen und die Atmosphäre im "Hinterland" lebendig werden zu lassen. Würde es Elk Tooth wirklich geben, sollte Proulx einen Job im dortigen Tourismusbüro erhalten, denn sie versteht es bestens, auf diesen skurrilen Ort neugierig zu machen.

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Die Literatur-Miniatur, Donnerstag, 5. Jänner, 2006, 16:55 Uhr

Ex libris, Sonntag, 8. Jänner 2006, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Annie Proulx, "Hinterland. Neue Geschichten aus Wyoming", aus dem Amerikanischen übersetzt von Melanie Walz, Luchterhand Verlag, ISBN 3630872077