Premiere für "La Santissima annunziata" in Ö1

Wiederentdeckung eines Scarlatti-Oratoriums

Von so manchen großen alten Meister gibt es noch vieles aus den Archiven zu bergen: So wurde heuer nach rund 300 Jahren Scarlattis "La Santissima annunziata" beim Alte-Musik-Festival in Utrecht erstmals wieder aufgeführt. Ö1 sendet nun dieses Oratorium.

Wird uns das bevorstehende Mozart-Jahr kaum Neuentdeckungen des Salzburger Genius Loci bringen, so gibt es von vielen berühmten Meistern alter Zeit noch etliches aus den Archiven zu bergen. So wurde heuer Alessandro Scarlattis Oratorium "La Santissima annunziata" nach rund 300 Jahren beim Alte-Musik-Festival in Utrecht mit dem Ensemble Europa Galante unter Fabio Biondi erstmals wieder aufgeführt. Und in Ö1 ist es nun am kommenden Montag erstmals zu hören.

Das Libretto zu diesem Scarlatti-Oratorium stammt aus der Feder des Kardinals Pietro Ottoboni. Das Werk entstand anno 1700 im Rahmen der Feierlichkeiten zum Jubeljahr der katholischen Kirche. Uraufgeführt wurde das zweiteilige Werk, das übrigens nur in einer Kopie der Königlichen Bibliothek von Brüssel erhalten geblieben ist, am 25. März 1700, dem Fest Mariae Verkündigung, im Palazzo della Cancelleria in Rom.

Wiederaufführung und ungewöhnliches Zusammentreffen

Normalerweise erklangen derlei Oratorien vor den Ohren der hohen Kirchenfürsten nur ein einziges Mal. Nicht so "La Santissima annunziata": Dieses Werk erlebte acht Jahre später im Palast des Kardinals Ruspoli eine Wiederaufführung. Eben dort, wo Georg Friedrich Händel seit Februar 1708 logierte und an seinem Oratorium "La Resurezzione" arbeitete, das er dann zwei Wochen später am gleichen Ort vorgestellt hat.

So standen sich also binnen kurzem zwei Oratorien gegenüber, wie sie unterschiedlicher nicht hatten sein können: Das eine im traditionellen Stil der unumstrittenen Autorität Scarlattis, das andere im farbigeren Stil Händels, der sich eine modernere Italianità ebenso begierig wie begeistert zu eigen machte.

Wahl der Besetzung von Inhalten bestimmt

Bei gleicher Solistenzahl begnügte sich Scarlatti mit einer reinen Streicherbesetzung, während Händel mit einem um Holz- und Blechbläser erweiterten Orchester aufwartete. Und doch: Es dürften im wesentlichen die Inhalte gewesen sein, die die Wahl des Instrumentariums bedingt hatten. Was zum Triumph der Auferstehung passte, war deswegen nicht auch zur Darstellung des Mysteriums der Menschwerdung von Gottes Sohn im Schoß einer Jungfrau geeignet.

Und wirklich: Die kleinere Besetzung hat der Komposition Scarlattis keinen Abbruch getan. Schon die vielen für den Primgeiger Corelli gedachten Violinsoli haben ihren besonderen Stellenwert, und erst echt ordnet der theater-erfahrene Scarlatti den auftretenden Personen und Allegorien aussagekräftige musikalische Strukturen zu, lässt sie geradezu plastisch Gestalt gewinnen. So zum Beispiel, wenn der Engel Gabriel in Marias Kammer eintritt und einige Akkorde regelrecht das sich beruhigende Schlagen seiner Flügel beschreiben.

Alessandro Scarlatti (1660-1725)

Geboren wurde Alessandro Scarlatti 1660 in Palermo auf Sizilien. Im Alter von zwölf Jahren kam er mit seinen Schwestern, beide Sängerinnen, nach Rom, wo er wahrscheinlich Schüler von Giacomo Carissimi wurde. Zu seinem Freundeskreis zählten Bernardo Pasquini und Arcangelo Corelli. Ab 1679 war er Kapellmeister der exilierten Königin Christina von Schweden und gleichzeitig bis 1682 Kapellmeister des Oratorio di San Marcello, ab 1683 am San Geronimo della Carità.

Im Jahr darauf wurde Scarlatti Erster Hofkapellmeister in Neapel und unterrichtete am Conservatorio Santa Maria di Loreto. Nach einem Florenz-Aufenthalt 1702 wurde Kapellmeister an der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom. Ab 1706 war er Mitglied der Accademia degli Arcadi und Kapellmeister des Kardinals Ottoboni. In den folgenden Jahren reiste er mehrfach nach Neapel, wo er am 24. Oktober 1725 mit 65 Jahren starb. Scarlattis Bedeutung liegt in der Schöpfung eines bestimmten Kantatentypus mit zwei Da-capo-Arien. Seine 114 Opern sind im neapolitanischen Stil gehalten; seine Concerti grossi der römischen Tradition verpflichtet.

Hör-Tipp
Alessandro Scarlatti, "La Santissima Annunziata", Ensemble Europa Galante, Leitung: Fabio Biondi, mit Marta Almanjano, Emanuela Galli, Margherita Tomasi, Romina Gasso und Carlo Puntelli (aufgenommen am 27. August in Utrecht), Ö1, Montag, 26. Dezember 2005, 19:30 Uhr

Links
Festival Oude Muziek Utrecht
L’europa Galante