Resonanzen 2006 mit frischem Wind
Fremde, Ketzer und Rebellen
Zwar boomt die Alte Musik enorm, wird aber durch extremes Crossover bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Also höchste Zeit für eine Rebellion gegen den Mainstream. "Fremde, Ketzer und Rebellen" - so das Motto der Resonanzen 2006. Ö1 überträgt wieder live.
8. April 2017, 21:58
Wir erleben heute, am Beginn des 21. Jahrhunderts, einen Boom an Konzerten, Platten, Videos und Büchern an und über Alte Musik, wie er wohl noch nie da gewesen ist. Die Musik früherer Jahrhunderte erreichte niemals - und schon gar nicht zur Zeit der Entstehung der Werke - eine derartige Verbreitung.
Nie hat es eine Zeit gegeben, in der sich ein offenbar noch im Wachsen begriffenes breites Publikum für die Musik vergangener Jahrhunderte interessiert hat. Noch nie gab es so viele Sänger, Instrumentalisten und Dirigenten, die sich intensiv mit der zeitgemäßen Interpretation der Werke vom Mittelalter bis hin zur Romantik beschäftigen. Heute bezeichnet Alte Musik nicht mehr Musik, die in einem bestimmten historischen Zeitraum komponiert wurde, sondern wohl mehr die Art, wie Musik interpretiert wird.
Eine stetige Metamorphose
Dass sich auch diese Aufführungspraxis in einer steten Metamorphose befindet, ja befinden muß, ist klar. Es gibt und darf einfach keine für immer und ewig gültige Interpretation eines Musikstücks geben. Liebhaber werden selbst in jeder Opernaufführung neben neuen Details auch feine musikalische Unterschiede zur vorhergehenden Aufführung heraushören können.
Insider der Alten-Musik-Szene werden mir auch sicher recht geben, wenn ich behaupte, dass man sich in den vielen Jahren der Beschäftigung mit dieser Musik auch vom - beinahe sturem und absoluten - Erfüllen dessen, was in den Lehrwerken steht, wieder hin zu mehr freiem, spontanem Musizieren, natürlich unter Einbeziehen des Wissens um die historischen Quellen, hinentwickelt hat.
Neues Rebellentum notwendig
Über der Frage und die oft heiß geführten Diskussionen der Interpretation von Alter Musik dürfen wir aber eines - und wohl das Wichtigste - nicht vergessen: Den geistigen Inhalt dieser mehrere Hundert Jahre alten Werke. Gerade aber dieser Anspruch scheint in der Massenproduktion unserer Zeit immer mehr in den Hintergrund gedrängt zu werden.
Bisweilen wird Alte Musik durch übertriebenes Crossover nahezu bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Es bedarf also wieder eines gewissen Ketzer- und Rebellentums, um frischen Wind in den Alte-Musik-Mainstream zu bringen. Und das speziell im Jahr 2006, wo sich auch in einschlägigen Festivals die Mozartmania breit macht.
Resonanzen 2006
Die Resonanzen, die vom 21. bis 29. Jänner 2006 stattfinden und seit Jahren wegen ihrer alternativen Programmierung bekannt und beliebt sind, stehen diesmal unter dem Motto "Fremde, Ketzer und Rebellen". Dabei spiegelt sich dieses Thema gleich in mehrfacher Hinsicht - und das ohne Musik von Wolfgang Amadeus:
Zum einen treten Künstler und Ensembles auf, die bisher Fremde im Wiener Musikleben waren (das heißt erstmals in Österreich zu Gast sein werden) und die durch ihre Interpretationen gegen den Alte-Musik-Strom schwimmen: So etwa das spanische Ensemble Mudéjar, das Musiker aus dem arabischen, jüdischen und christlichen Kulturkreis vereint und so an die einstige Einheit dieser Kulturen auf der iberischen Halbinsel erinnert (29. Jänner 2006, 11:00 Uhr). Oder: Das Ensemble Matheus aus Frankreich bringt neue Aspekte in der Interpretation der Werke Händels und Vivaldis - heißblütiger, feuriger mediterraner Klang gemischt mit französischer Grandezza.
Ensemble Mudéjar
Das Festival-Thema zieht sich natürlich aber auch durch die Inhalte der dargebotenen Musik und der vertonten Texte. So waren zum Beispiel "Mudéjares" jene Muslime, die im Zuge der Reconquista unter die Herrschaft der christlichen Könige in Spanien geraten waren. Nach dem Fall Granadas 1492 fand in Andalusien eine umfassende Synthese zwischen arabischer und abendländischer Musik statt.
Das Ensemble Mudéjar besinnt sich auf die ursprünglichen, volkstümlichen (in diesem Fall maurischen) Wurzeln der spanischen Musik und erweckt mit rhythmischem Elan die faszinierenden Klänge aus Al-Andalus wieder zum Leben.
Auftakt mit Vivaldi-Oper "Bajazet"
Zum Auftakt der Resonanzen wird Vivaldis Oper "Bajazet" erstmals in Wien erklingen. Der "Prete rosso führt uns in diesem Werk in die Auseinandersetzung der Osmanen gegen die Tartaren Anfang des 15. Jahrhunderts. Im Vordergrund steht der Konflikt der beiden Gewaltherrscher Bajazet und Tamerlano, die einander und ihren Getreuen ein Wechselbad extremer Gefühle bescheren.
Einen versöhnlichen Ausklang des Festivals bietet Händels "Rodelinda" unter Alan Curtis (29. Jänner 2006, 19:30 Uhr). Das Werk stellt weit vor Beethovens "Fidelio" Gattenliebe und -treue in den Mittelpunkt. So gelingt es der Königin Rodelinda allem Werben und auch Morddrohungen zu widerstehen, bis ihr tot geglaubter Gatte Bertarido zurückkehrt und sogar seinem Gegner das Leben rettet.
Ö1 live und Resonanzen-CD
Wie jedes Jahr wird Ö1 wieder Konzerte der Resonanzen übertragen: So das Eröffnungskonzert am 21. Jänner 2006 live mit Vivaldis Oper "Bajazet" (LEuropa Galante, Fabio Biondi). Und am 24. Jänner 2006 Händel & Vivaldi (Ensemble Matheus, Philippe Jaroussky, Jean-Christophe Spinosi). Weitere Ö1 Sendetermine mit Konzerten der Resonanzen gibt es im Februar und März 2006.
Und rechtzeitig zum Festival ist die Box "Resonanzen 2005" in der ORF-Edition Alte Musik (CD 417) erhältlich. Auf vier SACDs sind u. a. Ausschnitte aus Konzerten mit Jordi Savall, Hopkinson Smith, dem Ensemble Stylus Phantasticus, Rinaldo Alessandrini und Lawrence Zazzo zu hören. Als Bonus-CD beinhaltet diese zehnte Resonanzen-Edition zudem Ausschnitte aus Konzerten früherer Jahre.
CD-Tipp
ORF-Edition Alte Musik, "Resonanzen 2005" (CD 417), erhältlich im ORF Shop
Hör-Tipps
Resonanzen live, Antonio Vivaldi, "Bajazet", Samstag, 21. Jänner 2006, 19:30 Uhr
Resonanzen live, Antonio Vivaldi und Georg Friedrich Händel, Dienstag, 24. Jänner 2006, 19:30 Uhr
Links
Ensemble Mudéjar
Europa Galante
Wiener Konzerthaus