Ein Buch wie ein Altar

Retablo

Wie ein Flügelaltar ist Vincenzo Consolos Sizilien-Roman aufgebaut Er liest sich wie ein postmoderner Programmtext: opulenter Erzählstil und intertextuelle Verweise, hoch gelehrte Zitate und historisierende Fake-Ästhetik - alles da, nichts fehlt.

Ein "Retablo" - Freunde mittelalterlicher Sakralkunst werden es wissen - war ein dekorativer Altaraufsatz, aus dem sich im 14. Jahrhundert der Flügelaltar entwickelt hat. Wie ein Flügelaltar ist auch Vincenzo Consolos Sizilien-Roman "Retablo" aufgebaut. Consolos schmaler Roman besteht aus drei Teilen. In pseudo-barocker, poetisch delirierender Sprache erstatten drei Ich-Erzähler Bericht über ihre Herzensabenteuer und Liebesqualen. Schauplatz des Ganzen: das Sizilien des 18. Jahrhunderts.

Die Wirrungen des Bettelmönches Isidoro

Der Maler Fabrizio Clerici, Abkömmling einer der mächtigsten Familien Mailands, geht in Palermo an Land, um als Bildungsreisender seine Angebetete Teresa zu vergessen. Auf der Hafenmole von Palermo heuert der Cavaliere aus Milano einen ortskundigen Führer an, einen entsprungenen Bettelmönch namens Isidoro. Auch Isidoro, er ist Erzähler Nummer 1, leidet amouröse Höllenqualen. Rosalia heißt die Erwählte seines Herzens.

Aller Übel und Laster Anfang, man weiß es nun ja wohl, war Rosalia. Ich war ein junger, zufriedener Klosterbruder im Kloster der Gancia, ein Bettelmönch, und zog von Ort zu Ort, bettelte, verkaufte Ablassbriefe der Heiligen Stätten, Drucke, die Privilegien verliehen, die Schutz gewährten auf Unglück bringenden Wegen. (...) Ich kehrte ins Kloster zurück mit prall gefüllten Quersäcken und schweren Taschen voll mit Obolussen und den gewaltigen Einnahmen durch der Verkauf der Ablassbriefe.

Auf dem Rückweg zum Kloster entdeckt Isidoro ein 15- oder 16-jähriges Mädchen, das ihm mit dem "smaragdenen Feuer seiner Augen" den Kopf verdreht: Rosalia heißt die Schöne. Um ihre Gunst zu gewinnen, beginnt der liebestrunkene Mönch immer öfter die Tageslosung aus den Ablassverkäufen zu unterschlagen. Vergebens: Rosalia zeigt sich spröde. Die Dinge wachsen dem Mönch allmählich über den Kopf. Schlussendlich brennt er durch. Zusammen mit seinem neuen Chef, dem Mailänder Maler Fabrizio, macht sich Isidoro auf den Weg zu den Überresten der griechischen Hochkultur, die einst auch auf Sizilien blühte. Unterwegs erleben die beiden Touristen allerlei seltsame Abenteuer, sie werden von Briganten überfallen, vor allem aber erkunden sie die Kultur- und Naturschönheiten der Insel.

Die Sprache des Barock

Vincenzo Consolos Roman ist ein Pastiche. Kunstvoll ahmt der Autor die Sprache des Barock nach, scheinbar mühelos fühlt er sich ein in die Weltsicht des 18. Jahrhunderts. Consolos Text, so erfahren wir im Nachwort Maria E. Brunners, ist eine Mischung aus hochliterarischem und alltäglichem Italienisch, die Dialekte Norditaliens und Siziliens versteht der Autor ebenso virtuos einzusetzen wie Anspielungen auf Shakespeare und Cervantes.

Vincenzo Consolos Rhetorik kommt aber auch üppig, allzu üppig daher. Durchaus vorstellbar, dass "Retablo" eingefleischte Sizilien-Fans und Liebhaber postmoderner Pastiches mit der Zunge schnalzen lässt, den Rezensenten ließ der Roman trotz des mächtig anschwellenden Wortgeklingels, das der Autor gekonnt orchestriert, eher kalt. Die Postmoderne hat mittlerweile auch schon etwas Patina angesetzt. Heute hat man's eben gern straighter, cooler, ein bisschen weniger überladen.

Buch-Tipp
Vincenzo Consolo, "Retablo", aus dem Italienischen übersetzt von Maria E. Brunner, Folio-Verlag, ISBN 3852563143