Asien im Vormarsch
Die Stunde der Asiaten
Die Asienkrise 1997 hat allen Prognosen vom "asiatischen Jahrhundert" einen Dämpfer versetzt. Acht Jahre später lautet Jochen Buchsteiners These jedoch, dass Europa nicht auf die Welt von morgen vorbereitet ist und langsam ins Abseits zu geraten droht.
8. April 2017, 21:58
Wie sieht Europa seine künftige weltpolitische Rolle? Welche Strategien entwickelt Brüssel - und entwickeln zugleich die diversen EU-Mitgliedsländer - angesichts der wachsenden ökonomischen und politischen Bedeutung von Asien? Welchen Einfluss kann und will Europa in asiatischen Krisen spielen? Dies nur einige der zahllosen Fragen, die zweifelsohne einer fundierten Analyse bedürfen.
Spannend ist der thematische Ansatz von Jochen Buchsteiner allemal, auch wenn manche Zukunftsszenarien gar unwahrscheinlich klingen.
Schon in einer Generation könnte die internationale Nachrichtenlage ganz anders aussehen. Weltpolitik wird im Jahr 2040 womöglich von einer "G3" geprägt, einer Allianz der Großmächte China, Amerika und Indien, die dann unter sich ausmachen, ob sie etwa in Europa intervenieren, wenn Massenproteste arbeitsloser Demonstranten die Lage in Berlin und Paris außer Kontrolle geraten lassen.
Fragwürdige Behauptungen
Ist solch ein Szenario tatsächlich möglich? Nichts spricht gegen das Durchspielen diverser Optionen, solange sie auch wirklich durchgespielt und argumentiert und nicht, wie im vorliegenden Buch, einfach nur schnell hingeschrieben werden. Andere Behauptungen sind schlicht und ergreifend inkorrekt wie jene, dass die von rund drei Milliarden Menschen, also der Hälfte der Menschheit bewohnten Länder zwischen Afghanistan und Japan, die Jochen Buchsteiner in seinem Werk unter Asien versteht, ein regionales Wir-Gefühl besitzen.
Die Erfahrungen mit Armut, Instabilität, politischer Willkür und nicht zuletzt mit Naturkatastrophen haben sich ins kollektive Gedächtnis der heute aktiven Generationen eingegraben. (...) Es hat ihren Sinn für das Wesentliche geschärft. Asiaten sind zu Überlebenskünstlern geworden - und als solche für die bevorstehenden Umwälzungen besser gewappnet als die mehr oder weniger selbstzufrieden organisierten Europäer.
Bekannte Fakten
Ländermäßig konzentriert sich Jochen Buchsteiner auf China, Indien und die USA, thematisch auf die bereits erwähnten Krisenherde, sowie auf Religion in jenen Ländern, von denen die Gefahr des Terrorismus ausgeht. Dabei beschränkt sich der Autor stets auf knappe Zusammenfassungen von bekannten Fakten, in die sich allerdings eine Reihe von Fehlern und fragwürdige bis menschenverachtende Kommentare einschleichen, vor allem wenn es um die vom ökonomischen Aufschwung nicht erfassten Armen geht.
Armutsbekämpfung reiht Buchsteiner neben Menschenrechten, Umweltschutz, der Stärkung der Vereinten Nationen und dem Dialog der Kulturen ohnedies in die Kategorie der "allgemeinen und eher unverbindlichen Angelegenheiten", für die sich Europa engagiert, statt sich mit den - wie Buchsteiner sagt - handfesten Fragen der Weltpolitik zu beschäftigen.
Europas Machtverlust
Was die Europäer angeht, so sind sie nach Buchsteiners Darstellung das Gegenteil der jungen, aufstrebenden asiatischen Überlebenskünstler. Der Autor würdigt zwar die Erfolgsgeschichte Europas nach dem Zweiten Weltkrieg, die auf Aussöhnung, Stabilität, Demokratie und Wohlstand fußte, doch damit ist Europa seiner Ansicht nach für die von einer Renaissance traditioneller Macht- und Interessenspolitik bestimmten Zukunft nicht gerüstet. Was bleibt also zu tun? Dazu heißt es im letzten Absatz des Buches:
Von allen gemocht, von niemandem gefürchtet, haben sie sich freiwillig auf den Weg an den politischen Rand begeben. Weil ihnen Macht fremd geworden ist, überlassen sie die Zukunft anderen.
Wie diese europäische Machtpolitik aussehen sollte, verrät Buchsteiner nicht. Offen bleibt, wie eine solche Machtpolitik beispielsweise die im Zuge der Globalisierung an Asien verloren gegangenen Arbeitsplätze zurück gewinnen könnte oder den Kaschmirkonflikt zwischen Indien und Pakistan würde lösen helfen. Wie im gesamten Buch bleibt der Autor eine analytische Verknüpfung der vielen Fakten und Behauptungen ebenso schuldig wie die Entwicklung schlüssiger Szenarien.
Buch-Tipp
Jochen Buchsteiner, "Die Stunde der Asiaten. Wie Europa verdrängt wird", Verlag Rowohlt, ISBN 3498006460