Wie Rechtsstaatlichkeit verschieden beurteilt wird

Hingerichtet!

Kein Mensch hat das Recht, über Leben und Tod eines anderen zu entscheiden - sollte man meinen. Denn weltweit werden jedes Jahr rund 4.000 Menschen hingerichtet. Und das sind nur die offiziellen Zahlen des Vollzugs der Todesstrafe.

Heinz Patzelt und Otto Lagodny zur Todesstrafe

"Es tut mir leid was passiert ist, aber ich habe nicht den Tod dafür verdient. Gott vergebe jenen die nicht wissen, was sie tun".

Das waren die letzten Worte von Billy Jones am 22. November 2002, vorgetragen vom Gefängnisdirektor. Fünf Minuten vor Mitternacht hat Billy sie gesprochen - auf einer Bahre festgeschnallt - zehn Minuten später war er tot. Hingerichtet durch eine Giftinfusion im Hochsicherheitsgefängnis von Potosi im US-Bundesstaat Missouri.

17 Jahre hat Billy Jones Zeit gehabt, sich seine letzten Worte zu überlegen - so lange ist er in der Todeszelle gesessen. Doch tatsächliche Gewissheit hat er erst wenige Stunden davor erlangt, als auch das letzte Gnadengesuch abgelehnt wurde.

Die "fleißigen" Hinrichter

So wie Billy Jones geht es rund 4.000 Menschen weltweit. So viele Hinrichtungen gibt es - offiziell - pro Jahr. Die Dunkelziffer liegt aber sicher bei einem X-fachen. Das Land mit den mit Abstand meisten Hinrichtungen ist China - dort passieren 90 Prozent aller Hinrichtungen, und die Todesstrafe gilt nicht nur für Kapitalverbrechen wie Mord - sondern auch für Korruption - oder politische Delikte.

Gemessen an der Bevölkerungszahl führt aber kein Staat der Welt mehr Hinrichtungen durch als der kleine Stadtstaat Singapur. Hier geht die Justiz genauso scharf gegen Ausländer ins Gericht wie gegen Einheimische. In den meisten Fällen handelt es sich um Drogendelikte. Weitere Staaten, die besonders fleißig hinrichten, sind der Iran, Saudi Arabien, Vietnam und eben die USA.

Die Vereinigten Staaten sind der einzige Staat im Westen, in dem die Todesstrafe regelmäßig verhängt wird. Nur in den Jahren 1972 bis 1976 wurde die Todesstrafe vom Obersten Gerichtshof verboten, weil die Durchführung in der damaligen Form als grausam bezeichnet wurde. Regelmäßig wurden zu jener Zeit die Häftlinge regelrecht gegrillt -sind die Funken einen halben Meter aus dem Kopf geschlagen, haben Hinrichtungen in der Gaskammer eine halbe Stunde und mehr gedauert oder sind die Opfer am Galgen nicht durch Genichtbruck, sondern durch langsames Ersticken gestorben. Nach einer Adaptierung der Gesetze wurden die Hinrichtungen in vielen Bundesstaaten aber wieder möglich gemacht.

Der "Leuchter-Report"

Mittlerweile wird in den USA "nur" noch mittels Giftspritze hingerichtet. Erfunden hat die Methode ein Mann namens Fred Leuchter - in unseren Breiten durch den "Leuchter Report“ bekannt. In diesem wird die Existenz von Gaskammern und die Vergasung von Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg durch pseudo-wisschenschaftliche Methoden widerlegt. Damit ist Leuchter ein Star in der extremen Rechten und wird von den in den USA nicht verbotenen Nazi-Vereinigungen immer wieder zu Vorträgen eingeladen.

Dieser Fred Leuchter ist auch groß in das Hinrichtungsgeschäft eingestiegen. Er hat sogar einen eigenen Katalog: Da gibt’s das modulare Injektionssystem um 30.000 Dollar, den elektrischen Stuhl um 35.000 Dollar, den selten verlangten Galgen um 85.000 Dollar sowie die Fred-Leuchter-Gaskammer um 200.000 Dollar. Für Staaten in denen es keine Hinrichtungseinrichtungen gibt, bietet Leuchter das so genannte "Exekutions-Mobil“ an - eine fahrbare Exekutionseinrichtung mit Injektionsmaschine, stählerner Arrestzelle für den Häftling und separaten Zonen für die Zeugen, den Kaplan und die Gefängnisbediensteten. Kostenpunkt: 100.000 Dollar.

Detailkosten und Vermarktung

Die niedrigsten Materalkosten für die Hinrichtung selbst gibt’s beim elektrischen Stuhl, erzählt Fred Leuchter im Buch "Die Hinrichtungsindustrie“ von Stephen Trombley. Der Strom kostet gerade mal 31 Cent, die Chemikalien für die Todesspritze 700 Dollar und das für die Gaskammern notwendige Zyankali etwa 250 Dollar. Zumindest bekommen in den USA die Hinterbliebenen nicht auch noch eine Rechnung dafür - im Gegensatz etwa zu China: Da wird die Patrone in Rechnung gestellt.

In China sind Hinrichtungen überhaupt mittlerweile zu einem medizinischen Geschäftszweig geworden. Alle Hinrichtungen wurden per Genickschuss durchgeführt, um keine Organe zu verletzten. Berichten zufolge werden nach den erfolgten Exekutionen den Leichnamen die Organe entfernt und zur Transplantation freigegeben. Herz, Leber, Nieren und sogar Hornhäute werden verkauft und transplantiert. Angeblich werden die Todesurteile nach Transplantationsverträglichkeit der Organe bei bereits wartenden Patienten ausgesprochen.

Europa gegen Todesstrafe

Ob nun etwa die Giftspritze in den USA humaner als andere Vollstreckungen ist, sei dahingestellt. In Europa ist die Todesstrafe jedenfalls kein Thema mehr. Geprägt durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ist sie in allen Mitgliedsstaaten der EU abgeschafft - mit Ausnahme von Lettland: Dort gibt es sie noch im Militärstrafrecht.

Die zivile Abschaffung ist sogar Beitrittsvoraussetzung - auch um einen Sitz im Europarat zu bekommen, darf ein Land die Todesstrafe zumindest nicht mehr vollstrecken. Nur in Weißrussland wird noch hingerichtet. Die Debatten für oder gegen die Todesstrafe flammen aber immer wieder auf. Jüngst war sie auch Thema beim polnischen Präsidentschaftswahlkampf.

Kein Mensch hat das Recht zu töten

Viele Befürworter der Todesstrafe verweisen auch auf die Bibel und die Worte: "Auge um Auge, Zahn um Zahn". Dem widerspricht Simone Paganini vom Institut für alttestamentarische Bibelwissenschaften der Universität Wien. Die Bibel sei hier nicht wörtlich zu verstehen. Hier gehe es nur um eine insgesamte Angemessenheit der Strafe, nicht ums Getötet-Werden, wenn man getötet hat. Nur Gott selbst könne über Leben und Tod richten. Christen hätten zwar - so Paganini - grundsätzlich das moralische Recht, die Todesstrafe zu fordern, allerdings nur dann wenn sie sich selbst an den gesamten Text der Bibel halten, also auch den Tod für Ehebruch oder die Nichteinhaltung der Sabbatruhe fordern.

Auch Otto Lagodny, Professor für Internationales Straf- und Verfahrensrecht an der Universität Salzburg, meint, in einer zivilisierten Gesellschaft dürfe nicht die Rache oder Vergeltung, sondern die Strafe und die Wiedereingliederung - auch von Schwerverbrechern - im Vordergrund stehen. In der Demokratie gebe es Dinge und Werte, die nicht der Mehrheitsentscheidung unterworfen sein können. Dazu gehöre auch die Frage, ob die Staatsgewalt jemanden töten darf.

Reiche werden nicht hingerichtet

Für Billy Jones hat es jedenfalls keine Gnade gegeben, auch nicht vom bibelfesten Gouverneur. Dieser Fall entspricht auch nicht einer europäischen Auffassung von Rechtsstaatlichkeit, denn sein vollkommen überforderter Pflichtverteidiger konnte nie wirklich klären, ob Billy nicht doch in Notwehr geschossen hat. Billys Pech war auch, dass gerade die Wahlen für den Staatsanwalt anstanden, dessen Wiederwahlchancen durch druckfrische Todesurteile stiegen. Noch wenige Wochen vor der Hinrichtung sagte jener Staatsanwalt, der das Urteil fällte: "Mit jedem anderen Pflichtverteidiger wäre Jones nicht zum Tode verurteilt worden. Eine Tatsache, die Heinz Pazelt von Amnesty Österreich nur in seiner Kritik bestätigt:

"Die Todesstrafe ist hochgradig ungerecht, weil sie überall auf der Welt nur für bestimmte Gesellschaftsschichten gilt. Reiche und mächtige Menschen werden nicht hingerichtet". Und die Statistik beweist dies deutlich: Arme, sozial Schwache und Farbige werden deutlich öfter zum Tode verurteilt als Reiche.

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Wikipedia - Todesstrafe