1943-1946

Briefe aus dem Krieg

"schtzngrmm" heißt eines der berühmtesten Gedichte von Ernst Jandl, derr den "schtzngrmm" aus eigener Anschauung kannte, schließlich war er im Krieg auch an der Front. Darauf wirft nun ein schmaler Band mit Briefen aus Jandls Nachlass ein Licht.

Insgesamt 55 meist recht kurze, nur wenige Zeilen umfassende Briefe enthält der vom langjährigen Lektor von Ernst Jandl und Herausgeber seiner Werke im Luchterhand Verlag, Klaus Siblewski, edierte Band, dazu zwei Gedichte, ein Prosafragment, Fotos und Faksimiles. Die an die Eltern und Geschwister adressierte Post ist nicht die komplette Korrespondenz Jandls aus dieser Zeit, doch nur, was der Vater aufbewahrte, blieb erhalten.

Mit "Pottenbrunn, 6. Mai 1943" ist der erste, mit "England, 24. Februar 1946" der letzte der Briefe überschrieben, die somit einen Zeitraum umfassen von kurz nach Jandls Matura und dem Beginn seines Arbeitsdienstes bis zum Ende der Gefangenschaft im englischen Stockbridge: kurze Lebenszeichen aus Olmütz und Znaim, aus Mistelbach und Brünn, wo Jandl am 11. November 1943 schreibt:

Mir geht es ganz gut - bis auf eine recht unangenehme Bartflechte. Na, hoffentlich dauert der Schmarrn nicht allzu lange. Wenigstens kann ich keinen Stahlhelm und keine Gasmaske aufsetzen."

Banales und Alltägliches

In Jandls Briefen geht es um Banales und Alltägliches, wird der "Kasernbetrieb" erwähnt, das Karabiner-Scharfschießen, das stundenlange Exerzieren oder die Verpflegung. Immer wieder bittet er seine Eltern um Gefallen, bestellt ein Gläschen Marmelade, Zigaretten und Schnaps - und vor allem Bücher.
Über Jandls Haltung zum Dritten Reich, zum Kriegsgeschehen, zum nationalsozialistischen Gedankengut verraten diese Briefe nichts. Dass sich Jandl der eigentlich obligatorischen Mitgliedschaft in der Hitlerjugend entzog, dass er - erfolglos - ein Nervenleiden simulierte, um dem Militärdienst zu entgehen, dass er schließlich an der Westfront übergelaufen ist zum Feind - all das erfährt man nur dank Siblewskis Chronik im Anhang. Die Briefe selbst sind unpolitisch und emotionslos - mit wenigen Ausnahmen.

Wie wundervoll könnte alles sein, wenn ich frei hinausziehen könnte, unbeschwert, nicht immer niedergehalten, eingezwängt in die alles vernichtenden Kolonnen der Dreierreihen, die stur und stumpf dahintrotten. Wann kommt doch das Ende, das Ende, das erst der Anfang des Lebens sein wird?

Ernst Jandl spricht einmal in einem Brief von "Sarkasmus" und "Ironie", die - Zitat - "manchmal auch in Zynismus auszuarten droht": eine Haltung, die ihm dabei hilft, "alle Unannehmlichkeiten gleichmütig an mir abprallen" zu lassen.

Kleine Notate

Die Briefe sind dürre Notate, knappe Grüße zur Beruhigung der Familie. Von den Ängsten und Sehnsüchten, den Hoffnungen und Plänen eines 17- bis 20-Jährigen erfährt man so gut wie nichts. Einen Gewinn aus der Lektüre werden also allenfalls die an Jandls Biografie Interessierten ziehen, wenn sie - wie Klaus Siblewski - das hier Mitgeteilte, und mehr noch: das nicht Mitgeteilte, im Zusammenhang sehen mit dem aus anderen Quellen über Jandl Bekannte und hinter den Briefen aus dem Krieg die Strategie erkennen, sich aus physischen und psychischen Bedrohungen so gut es geht herauszuhalten, um genug Energien zu bewahren für das große Ziel der Dichterexistenz, die einmal mit "schtzngrmm" und anderen lautpoetischen Meisterwerken Furore machen wird.

Mehr zum Themenschwerpunkt "Österreich 2005" in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Ernst Jandl, "Briefe aus dem Krieg. 1943-1946", herausgegeben von Klaus Siblewski, Luchterhand Verlag, ISBN 3630872239