Ulrich Michael Heissig und sein neues Solo

Irmgard Knef als "letzte Mohikanerin"

Die Renten sind nicht sicher, die Ich-AG entpuppt sich als Flop und ihre Kollegen und Freunde sind verstorben. Dennoch kein Grund zur Depression für Irmgard Knef, erneut zum Mikro zu greifen und ihr drittes Soloprogramm im RadioKulturhaus zu präsentieren.

Knef-Heissig über den Kapitalismus

Sie ist wieder zurück auf der Bühne - Irmgard Knef, die verleugnete, vergessene und - wollen wir ehrlich sein - die von Ulrich Michael Heissig zum Bühnenleben erweckte Zwillingsschwester von Hildegard. Nach "Schwesterseelenallein“, dem vorangegangenen Programm des Berliner Autors, Schauspielers und Chansoniers, in dem sich Irmgard auf ein Bühnenleben nach dem Tod von Hildegard Knef einstimmte, kommt die 80-jährige Diva am 24. Februar als "letzte Mohikanerin" ins RadioKulturhaus.

Die letzte Überlebende

"Irmgard Knef ist die letzte Überlebende von einem alten Stamm: von jenen, die sich der alten Sozialdemokratie zugehörig fühlen, die Zivilcourage und soziales Gewissen einmahnen, die Ideen und Utopien vermissen. Das alles klagt Irmgard an - und zwar durchaus kabarettistisch", beschreibt Ulrich Michael Heissig sein Pendant:

"Das Programm ist aber gleichzeitig auch Ausdruck einer Befindlichkeit, nämlich der Befindlichkeit einer bald 80-jährigen Frau, die als einzige übrig geblieben ist, während alle anderen um sie herum bereits starben ..."

Der Lack ist ab

"Die letzte Mohikanerin“ ist ein Abend für alle, die mit Irmgard Knef einer Meinung sind - nämlich dass die Renten nicht sicher sind, sich die Ich-AG als Flop entpuppte und dass der Lack endgültig ab ist. Ulrich Michael Heissig brilliert bereits in seinem dritten Programm in der Rolle der rührigen Kreuzbergerin, die mit Talent geschlagen und mit Verachtung gestraft war, bis sie mit Bravour aus dem Schatten der berühmten Hildegard trat.

Als "letzte Mohikanerin" streift Irmgard Knef nun durch die ehemaligen Jagdgründe der Berliner Hinterhöfe und des weniger glamourösen Nachtlebens. Kollegen, Freunde und potentielle Liebhaber sind längst verstorben. Wer könnte es ihnen verübeln? Selbst der für die Diva so wichtige Fabrikant ihrer falschen Wimpern weilt nicht mehr unter den Lebenden. Und was wurde aus der Organisation der ungeliebten Zwillingsschwestern - der Vereinigung "Sorella Non Grata"?

Galgenhumor einer Trümmerfrau

Wie er den Bogen von seinen früheren Programmen zum jetzigen hergestellt hat, erklärt Ulrich Michael Heissig folgendermaßen:

"Da gab es den Verein der vergessenen Schwestern, den Irmgard in ihrem ersten Programm gründete. Das ist Teil des deutschen Wesens, das Vereinswesen - und dieser Vereinigung der unbekannten und verstoßenen Zwillingsschwestern gehörten u. a. Klara Leander, Helga Meisel, Renate Use und Irmgards mütterliche Freundin Helene Dietrich an. Und natürlich blieb es wieder an Irmgard als letzter Mohikanerin, diese Organisation aufzulösen. Was ich da mache, ist ein schwarzhumoriger Abend, bei dem der Galgenhumor einer Trümmerfrau zum Ausdruck kommt, der nichts mehr passieren kann, denn das Schlimmste ist ihr bereits in ihrer Jugend widerfahren: der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit".

Was mir stinkt, verpacke ich!

Für Irmgard Knef ist das langsame Untergehen ihrer alten Welt aber kein Grund zur Depression. Sie sieht gelassen zurück, wie eine echte Stadtindianerin, und an den Rückzug von der Bühne ist gar nicht zu denken - ganz im Gegenteil. Für das neue Solo hat Ulrich Michall Heissig seine betagte Diva nicht nur mit hintergründigem Witz und würdevollem Charme ausgestattet, sie darf auch wieder richtig böse sein.

Die Umstände verlangen es, meint der Schauspieler, der seiner Irmgard nicht nur unvergleichliche Grandezza verleiht, sondern auch den sicheren Instinkt für politische Agitation. Als engagierte Vertreterin des "alten Europa" greift sie daher zum Mikrofon und präsentiert sich kämpferisch wie in ihren ersten Bühnentagen. Seine Bühnengestalt ist aber auch - so Heissig - ein plausibler künstlerischer Ausdruck, eigene Gedanken zu formulieren: "Aber eben gefiltert durch das Erscheinungsbild einer alten 'Berliner Trümmerfrau', die behauptet, sie hätte eine berühmte Schwester gehabt - die Hildegard. Irmgard ist die linksliberale Semi-Intellektuelle. Und was mir stinkt, das verpacke ich hinter der Maske dieser 80-Jährigen, die sich kein Blatt mehr vor dem Mund nimmt“.

Chansons mit musikalischer "Strahlkraft"

Irmgard Knef sieht sich in mehrfacher Hinsicht in der Rolle der "letzten Mohikanerin“. Denn auch das Genre, das ihre Hildegard groß gemacht hat und das auch ihr eine respektable Altersversorgung brachte - das Genre des kritischen Chansons, der musikalischen Auseinandersetzung mit den kleinen und großen Problemen des Lebens - es ist dem Untergang geweiht. Irmgard sieht sich als eine der letzten Vertreterinnen dieser aussterbenden Kunstgattung und legt in ihrem neuen Programm noch einmal das ganze Gewicht von knapp 80 Jahren Lebenserfahrung in die Waagschale.

"Die letzte Mohikanerin“ ist ein in mehrfacher Hinsicht gelungenes Programm. Zum einen schaffte es Ulrich Michael Heissig, seine Irmgard in einem Spannungsfeld zwischen politischem Statement und sinnlicher Hingabe zur Kunst zu positionieren. Zum anderen lässt er Irmgard Knefs Sinn für Sarkasmus immer dann aufblitzen, wenn es zu gemütlich werden könnte: eine Gratwanderung, die nicht zuletzt auch durch den musikalischen Beistand der Band "Strahlkraft“ zu einem guten Ende gebracht worden ist.

Eine Veranstaltung im RadioKulturhaus mit Unterstützung von Wien-Energie

Hör-Tipp
Kabarett direkt, Freitag, 24. Februar 2006, 20:00 Uhr

Mehr zu Ulrich Michael Heissig in oe1.ORF.at

Mehr zu "Schwesterseelenallein" ebenfalls in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Ulrich Michael Heissig, "Irmgard Knef und ich", Parthas Verlag GmbH, ISBN 3866014309

Links
Irmgard Knef
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