Die Evolution des menschlichen Gehirns
Der domestizierte Affe
Der Wiener Human-Biologe, Kommunikations-Wissenschaftler und Psychologe Peter Weber fasst in seinem Buch die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahre so zusammen, dass sie für den interessierten Laien verständlich bleiben.
8. April 2017, 21:58
Wie konnte es passieren, dass aus dem gewöhnlichen Affen, der wir vor 6 Millionen Jahren waren, eine Kreatur hervorging, die nicht mehr grunzt, sondern spricht, die sich nicht mehr im Urwald laust, sondern in Großstädten wohnt, und die ihre nackte Haut mit parfümierter Seife wäscht?
Wenn der Wolf vom Menschen domestiziert wurde, um so zum Hund zu werden, wer hat dann den Menschen domestiziert? Das ist die Frage, der Peter Weber in seinem Buch nachgeht. Die Antwort ist auf ersten Blick einfach: Unsere Menschenvorfahren haben sich selbst domestiziert. Drei Viertel des Hirnwachstums passieren beim Menschen außerhalb des mütterlichen Bauches. Das unterscheidet ihn von allen anderen Tieren, und es gibt seinem Gehirn als erstem in der Entwicklungsgeschichte die Chance, sich an die Welt rundherum anzupassen.
In der Wiege der Menschheit
Die erste Begegnung mit Jane Goodalls Schimpansen in Tansania ist nur eines von vielen persönlichen Erlebnissen, die Peter Weber in seinem Buch beschreibt. Der Autor war unter anderem mehrmals mit dem österreichischen Anthropologen Horst Seidler in Äthiopien, um nach Hominiden zu graben. In Äthiopien ist vor drei bis vier Millionen Jahren der Mensch entstanden. Ein kleiner versteinerter Knochen oder ein einzelner Hominidenzahn aus dieser Umgebung: Das sind schon sensationelle Funde, für die große Forschergruppen jahrelang arbeiten und viele Entbehrungen auf sich nehmen.
Entwicklung dank Großmüttern
Unter Kapiteltiteln wie "Was Menschenaffen so denken", "Der entfesselte Geist" oder "Omas, Knollen und fette Maden" wechselt Peter Weber zwischen launigen Erlebnisberichten und aufgelockerten wissenschaftlichen Kurzreferaten. Wie nebenbei lernt man aber auch den Hominidenstammbaum, die Funktion der einzelnen Gehirnareale des Menschen, oder die relevantesten evolutionsbiologischen Hypothesen der letzten Jahre kennen. Eine davon ist die so genannte Großmutterhypothese, mit der erklärt wird, warum der Mensch als einziges Säugetier seine eigenen fruchtbaren Jahre um mehrere Jahrzehnte überlebt.
Die langlebigen Kinder versorgenden Großmütter gaben auch ihre Gene weiter, und verstärkten damit ihre eigene arterhaltende Familienfunktion. Der Großvater wäre innerhalb dieser Hypothese lediglich ein evolutionärer Trittbettfahrer, denn die Hominidenmänner erfüllten kaum Aufgaben, die für das Überleben der Gruppe notwendig waren. Wissenschaftler leiten ihre Erkenntnisse heute nicht nur aus Funden, sondern auch aus dem Alltagsleben rezenter Urvölker ab. Die den Männern vorbehaltene Jagd spielte demnach, entgegen früheren Theorien, kaum eine Rolle bei der Ernährung der Familie.
Männer gehen aus dem gleichen Grund auf die Jagd, aus dem Pfauenmännchen ein Rad schlagen. Es geht darum, andere zu beeindrucken und das eigene Ansehen zu steigern. Ob Sie es hören wollen oder nicht: die Jagd ist ein Angeberjob.
Prozess der Selbstdomestikation
Der Mensch ist das erste Säugetier, bei dem sich Biologie und Kultur nicht nur beeinflussen, sondern sogar gegenseitig erst erschaffen. "Biokultureller Ko-Konstruktivismus" lautet das sperrige wissenschaftliche Schlagwort, mit dem dieser Prozess heute beschrieben wird. Was mit dem aufrechten Gang und einem damit einhergehenden engeren Geburtskanal begann, führte über ein Gehirn, das die Chance hatte, sich erst außerhalb des Mutterbauches selbst zu formen, zum Prozess der "Selbstdomestikation". Aus der größeren Abhängigkeit dieser zwar lernfähigeren, aber auch gefährdeteren Hominidensäuglinge ergab sich dann die entwicklungsgeschichtlich sinnvolle "Erfindung" der Großmütter - und damit indirekt auch das hohe Lebensalter der Gattung Mensch.
Buch-Tipp
Peter F. Weber, "Der domestizierte Affe. Die Evolution des menschlichen Gehirns", Walter Verlag, ISBN 3530421898