Die NS-Zeit und die Haltung der Kirchen

Zwischen Anpassung und Widerstand

Eine tiefe Kluft hat sich Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen evangelischer und katholischer Kirche aufgetan. Bei der Einschätzung des Nationalsozialismus war man sich aber einig: der Anschluss an Hitler-Deutschland wurde von beiden Seiten bejaht.

Pfarrer Martin Müller aus Waiern zitiert aus dem Pfarrarchiv

Als am 12. März 1938 deutsche Truppen in Österreich einmarschierten, gab es von Seiten der Kirchen keinerlei Protest. Im Gegenteil! Nur wenige Tage später haben die österreichischen Bischöfe eine Loyalitätserklärung mit dem Nazi-Regime abgegeben. Und es dauerte auch lange, bis die Kirchen ihre Rolle im Nationalsozialismus kritisch zu hinterfragen begannen.

Klares Ja der Bischöfe zum Anschluss

Schon am Tag des so genannten Anschlusses an das Großdeutsche Reich verfasste Kardinal Theodor Innitzer in Wien einen Aufruf, der in der Reichspost abgedruckt wurde. Darin rief er die Katholiken der Erzdiözese Wien auf, Gott dem Herrn für den unblutigen Verlauf der großen politischen Umwälzung zu danken und um eine glückliche Zukunft für Österreich zu bitten sowie allen Anordnungen der Behörden gerne und willig Folge zu leisten. Diesen Aufruf interpretieren Historiker heute als klares Ja zum Anschluss. So wie Innitzer verhielten sich damals allerdings viele; der Kardinal war kein Einzelfall.

Vor 1938 war die Haltung der österreichischen Bischöfe gegenüber dem Nationalsozialismus jedoch keineswegs einheitlich. Schon 1929 - vier Jahre vor der Machtergreifung Hitlers in Deutschland - bezeichnete etwa der Linzer Bischof Johannes Maria Gföllner in einem offiziellen Hirtenbrief Hitler und seine Unterstützer als falschen Propheten. In der Zwischenkriegszeit gab es aber bereits eine starke Annäherung der katholischen Kirche an das christlich-soziale Lager und den autoritären Ständestaat. Kardinal Innitzer machte schon damals kein Hehl aus seinen Sympathien zum autoritären Regime von Bundeskanzler Dollfuß.

Zurück in die Heimat von Martin Luther

In der evangelischen Kirche gab es eine völlig andere Entwicklung. Das Verhältnis zwischen evangelischer und katholischer Kirche war vor 1938 alles andere als friedlich. Konflikte wurden offen und unterschwellig ausgetragen. Der Grund dafür war der Schulterschluss zwischen katholischer Kirche und dem Staat. Die evangelische Kirche orientierte sich immer mehr an der großdeutschen Idee unter dem Motto "Zurück in die Heimat von Martin Luther".

Der evangelische Kirchenhistoriker Karl Schwarz spricht von einer antikatholischen Erweckungsbewegung. Die evangelischen Vereine wären geradezu ein Sammelbecken der illegalen SS-Bewegung in Österreich gewesen, so Schwarz. So war die Hinwendung zum Deutsch-Nationalen konsequent vorgeschrieben. Hakenkreuzschmieren im Konfirmantenunterricht, das Singen des Deutschlandliedes im Schulanfang-Gottesdienst - das alles hat dazu beigetragen, dass die evangelische Kirche bald den Ruf einer Nazikirche hatte.

NS-Annäherung, um frei zu agieren?

"Kardinal Innitzer hat in erster LInie versucht, die katholische Kirche im Nationalsozialismus zu retten, zum Schutz der Kirche mit den neuen Machthabern Abmachungen auszuhandeln - mit dem Hintergedanken, relativ frei agieren zu können". So die Meinung des Grazer Kirchenhistorikers Maximilian Liebmann. Die Annäherung zwischen katholischer Kirche und den Faschisten dauerte jedoch nur wenige Monate. Alle Versprechungen sind von den Nazis gebrochen worden. Kirchliche Feiertage sind abgeschafft worden, Klöster wurden geschlossen, der Religionsunterricht wurde teilweise verboten.

Am 7. Oktober kam es im Wiener Stephansdom bei einer Rosenkranzfeier, an der etwa 10.000 Jugendliche teilnahmen, zur Kampfansage gegen die Nazis. Dabei hat Kardinal Innitzer an die Jugendlichen appelliert, sich "gerade jetzt umso fester, standhafter zum Glauben zu bekennen, zu Christus, unserem Führer.“ Einen Tag später schlugen die Nazis zurück. Hunderte HJ-Mitglieder haben das Erzbischöfliche Palais neben dem Stephansdom gestürmt, erinnert sich Liebmann. Dies war der Beweis, dass eine Zusammenarbeit mit dem NS-Regime nicht möglich war.

Schweigendes Dulden

Im Jahr 1940 gründete Kardinal Innitzer im Erzbischöflichen Palais eine Hilfsstelle für nicht-arische Christen, die im Untergrund agierte. Auch in der evangelischen Kirche kam nach der anfänglichen Euphorie im Herbst 1938 allmählich Ernüchterung auf. Schweigendes Dulden war nun angesagt. Peter Tropper, leitender Archivar im Klagenfurter Diözesanarchiv, spricht von einer Politik der Nadelstiche: zahlreiche, wenig spektakuläre, aber doch sehr wirksame Maßnahmen zur Erniedrigung katholischer Einrichtungen. Der antiklerikale Kurs der Nazis wurde immer deutlicher.

Die Priester schwiegen, oder wurden zum Schweigen gebracht. Auch die Ordensfrauen schwiegen, wie etwa die Hartmann-Schwestern. Eine davon, die nicht geschwiegen hat, war Schwester Restituta. Sie verweigerte es, Hitlerbilder in den Krankenzimmern aufzuhängen und die Kreuze abzunehmen. Schließlich wurde ihr ein Antikriegslied, das sie von einer Schreibkraft im Spital abschreiben ließ, zum Verhängnis. Wegen Hochverrats und Feindbegünstigung wurde sie im März 1943 auf dem Schafott des Wiener Landesgerichts enthauptet.

Amtskirche ohne Widerstand

Insgesamt waren von 1938 bis 1945 724 österreichische Priester im Gefängnis. Von ihnen sind sieben gestorben, 110 kamen in Konzentrationslager, 90 davon starben, 15 wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. Mehr als 1.500 Priester sind mit Predigt- und Unterrichtsverbot belegt worden. Der Theologe und Autor Stefan Moritz kritisiert in diesem Zusammenhang die Kirchenleitung und auch Orden, die sich - wenn überhaupt - dann nur halbherzig für jene einsetzten, die Widerstand leisteten.

Natürlich gebe es zahlreiche Beispiele für den individuellen Widerstand von Priestern und Ordensleuten. Die Amtskirche jedoch sei weit entfernt vom Widerstand gewesen. Die Bischöfe seien über Genozid und Holocaust informiert gewesen, hätten jedoch geschwiegen. Das sei wissenschaftlich bewiesen, so Moritz.

Langsame Aufarbeitung nach Kriegsende

Im Jänner 1943 kamen der Wiener Erzbischof und der Grazer Bischof überein, das Beste sei, statt eines Hirtenwortes zu schweigen. Hitler wurde als legitime Obrigkeit angesehen, der man zu gehorchen habe. Und so wurde bis Kriegsende weiter geschwiegen.

Als im Frühjahr 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende ging und das Naziregime zusammenbrach, begann sich langsam das neue Österreich zu formieren. Widerstandskämpfer aus den eigenen Reihen wurden jedoch von der Kirche jahrelang nicht gewürdigt. Andererseits blieben die kirchlichen Würdenträger in ihren Ämtern. Und so war es auch an den theologischen Fakultäten. Auch eine Aufarbeitung der Rolle der Kirche im Nationalsozialismus in den Nachkriegsjahren ließ noch lange auf sich warten.

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