Journalistische Spurensuche in Österreich 1945 - 1955
Unerhörte Lektionen
Was geschah zwischen 1945 und 1955 im Bereich der Publizistik? Was von all dem Gedruckten ist auch heute noch Wert gelesen und erinnert zu werden? Diese Spurensuche soll ein Beitrag zur "Kanonbildung im Journalismus" sein, meint Fritz Hausjell.
8. April 2017, 21:58
Fritz Hausjell über den doppeldeutigen Titel des Buches
Von der noch zur Jahrhundertwende herrschenden Hochblüte des österreichischen Journalismus' war nach 1945 kaum mehr etwas übrig. Die wichtigsten Publizisten waren entweder von den Nazis ermordet oder ins Exil vertrieben worden.
Als "Trümmerjournalismus" bezeichnet Wolfgang R. Langenbucher die Arbeit der damaligen Reporter. Und dieser Begriff beschreibt nicht nur die Verheerung in den Köpfen der Menschen, sondern auch die katastrophale wirtschaftliche Situation, die wiederum ein Grund dafür ist, warum sich in der nun erschienenen Anthologie vor allem kurze Kommentare finden und kaum Reportagen.
Arrangements mit der neuen Zeit
Die ersten Texte nach der Befreiung beschäftigen sich naturgemäß mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie kreisen darum, wie die ehemaligen Nationalsozialisten sich nun mit den neuen Zeiten zu arrangieren versuchen. Richard Nimmerrichter, der später gefürchtete und ebenso verhasste wie geliebte "Staberl" der Kronenzeitung, beschreibt zum Beispiel die Karriere des Oberleutnants Schimek, der - natürlich vollkommen ideologiefrei - in der Wehrmacht Karriere machte und sich nach der Befreiung als Opfer fühlte. Wie so viele Österreicher.
Franz Tassié beschreibt bereits am 24. August 1945 in dem Text "Triumph der Dummheit" das, was Österreich noch die nächsten Jahrzehnte beschäftigen sollte - oder eben nicht beschäftigen sollte: die Verdrängung der eigenen Schuld. Tassié berichtet von einem ehemaligen illegalen Nazi, der sich nun an ihn wendet, weil er hofft, dadurch Vorteile zu erlangen. Der Journalist versucht, dem Nazi begreiflich zu machen, dass er falsch gehandelt hat. Vergeblich.
Er fuhr fort zu argumentieren, und das Widersinnige daran war, dass er immer das Gegenteil von dem getan, was er gedacht hatte. Wir befanden uns in einem Labyrinth. Ich versuchte ihn festzuhalten und zur Vernunft zu bringen, es war aber zwecklos. Er begriff, dass sich die Zeit für ihn sehr ungünstig verändert hatte, begriff aber um keinen Preis, dass seine Wahnsinnsideen damit in irgendeinem Zusammenhang standen.
Es sind Texte wie dieser, die zeigen, dass die Idee der "Stunde Null" ein Mythos ist. Die alten Eliten agierten und regierten nach der Befreiung weiter, auch im Journalismus.
Berichte aus dem Alltagsleben
Neben den politischen Texten finden sich in den unerhörten Lektionen auch Berichte aus dem Alltagsleben. Otto Holborn beschrieb am 10. Juli 1947 zum Beispiel einen Spaziergang am Ring. Beim Schottenring vermisste er linker Hand gleich den ersten Häuserblock. Weggebombt. 206 Bäume auf der Ringstraße waren dem Krieg zum Opfer gefallen, wie der Journalist penibel und traurig notiert. Weiter schlendert er zu jenem Haus Ecke Schottenring und Börseplatz, das für die Wiener zu jener Zeit von besonderem Interesse war, wurden hier doch täglich Hunderte CARE-Pakete verteilt.
Die in diesem Buch zusammengefassten Artikel repräsentieren weder den Mainstream des damaligen Journalismus', noch die Überzeugung der breiten Masse. Und so ist der Titel des Buches, "Unerhörte Lektionen", auch in diesem Sinne zu interpretieren meint Wolfgang R. Langenbucher.
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Fritz Hausjell und Wolfgang R. Langenbucher (Hg.), "Unerhörte Lektionen - Journalistische Spurensuche in Österreich 1945 - 1955", Picus Verlag, ISBN 3854524870