Hannah Lessing

APA/HANS KLAUS TECHT

Menschenbilder

Mehr als Zeichen setzen - Hannah Lessing

Anlässlich 30 Jahre Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus ist Hannah Lessing in den "Menschenbildern " zu hören.

Eigentlich will Hannah Lessing Schauspielerin werden. Eine große Chance erhält sie als Jugendliche. Im vierteiligen Fernsehfilm "Holocaust" von Autor Gerald Green und Regisseur Marvin J. Chomsky spielt sie ein italienisches Mädchen im Konzentrationslager Mauthausen. Die Dreharbeiten vor Ort sind allerdings belastend, in mehrfacher Weise. "Ich bin mindestens zwanzig Mal in die Gaskammer gegangen", erinnert sich Hannah Lessing.

Die TV-Miniserie über das Schicksal der jüdischen Familie Weiss wird 1978 in den USA ausgestrahlt, 1979 folgen Deutschland und Österreich. Meryl Streep, Tovah Feldshuh, James Woods sind in dem prominenten Cast, aus Österreich sind unter anderem Wolfgang Lesowsky, Vera Borek, Otto Clemens vertreten. Die Bedeutung von "Holocaust" für die Bewusstwerdung der NS-Verbrechen kann wohl kaum überschätzt werden. Damit ist der Film indirekt für Hannah Lessings spätere Arbeit von Bedeutung, aber ohne unmittelbare Folgen. Der "Anruf aus Hollywood", den Hannah Lessing eigentlich erwartet, bleibt aus.

Entschlossen und überzeugend

Nach dem Baccalauréat am Lycée Français de Vienne hat Hannah Lessing keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Sie verbringt ein Jahr in Israel, dann sagen ihr Freunde, sie solle doch auf die WU mitkommen. Sie studiert also Wirtschaft ("zum Glück habe ich es nicht hingeschmissen"), arbeitet in verschiedenen Firmen, wird von der Erste Bank rekrutiert. Und wird 1995 gefragt, ob sie die Leitung des neuen Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus übernehmen möchte. Mit 32 Jahren, ohne einschlägige Erfahrungen - aber mit anderen Qualifikationen.

Hannah Lessing spricht mehrere Sprachen, darunter Hebräisch; sie ist Jüdin, hat in Israel gelebt und weiß, was Verfolgung im Nationalsozialismus bedeutet. Ihr Vater ist Erich Lessing. Der berühmte Fotograf und Urheber ikonischer Bilder - unter anderem von der Unterzeichnung des Staatsvertrags im Belvedere - kann als junger Mann nach Palästina fliehen. Doch seine Mutter, Hannah Lessings Großmutter, wird in Auschwitz ermordet. Dazu kommt die vielleicht wichtigste Qualifikation: "Ich habe gewusst, das ist es", sagt Lessing. Heinz Fischer erinnert sich: "Ich war beeindruckt von ihrer Entschlossenheit und ihrer Überzeugungskraft", so schreibt der damalige Nationalratspräsident 2015, zum zwanzigjährigen Bestehen des Fonds.

Die Republik hat sich Zeit gelassen

Die Aufgaben sind riesig. Die Republik hat sich mit der Anerkennung der Opfer 50 Jahre lang Zeit gelassen. Forderungen und Sammelklagen von Opferverbänden stehen an. Lessing nimmt an der Seite von Botschafter Ernst Sucharipa an Verhandlungen teil, sie führen unter Leitung des US-Diplomaten Stuart Eizenstat zum Washingtoner Abkommen 2001. Rechtsansprüche auf Entschädigung werden ausgeräumt, im Gegenzug richtet Österreich den Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus ein, ebenfalls geleitet von Hannah Lessing.

An Zehntausende Opfer und ihre Rechtsnachfolger:innen werden Hunderte Millionen gezahlt - und doch machen sie nur einen Bruchteil der Höhe der Enteignungen aus, von den immateriellen Verlusten gar nicht zu reden. Von "Wiedergutmachung" zu sprechen, verbietet sich. So wichtig wie Geld ist die Anerkennung des Unrechts und des Leids.

Wut, Trauer, Liebe

Hannah Lessing hat in diesen 30 Jahren alles erlebt: "Wut, Trauer, teilweise Hass, Unverständnis, auch in Österreich Kritik und Ablehnung - und wahnsinnig viel Vertrauen und Liebe." Und Hannah Lessing ist mit Hunderten, Tausenden Lebensgeschichten konfrontiert; einige hat der Nationalfonds dokumentiert und veröffentlicht. Die ihres Vaters hat sie nie im Detail erfahren, sagt sie. Und fügt hinzu: "Wir Geschwister haben auch nicht gefragt."

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