Dekadenz vor dem Ersten Weltkrieg

Kilimandscharo zweimeteracht

Vier Österreicher in Uganda, am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Sie gerieren sich wie Kolonialherren, und jeder der vier verfolgt seine eigenen Ziele. In seinem Roman entwirft Max Blaeulich das Bild einer zutiefst dekadenten Gesellschaft.

Sogleich fing Weiss an, die pittoresken Batwa zu fotografieren, Stackler und Krumpke tauschten ethnologische Gegenstände ein, und Kranich schnitt Pflanzen ab, die er später präparieren wollte. Besonders diese Hochebene war für Aufnahmen reizvoll, und Weiss bedauerte, sein Filmgerät und die Zelluloidrollen entbehren zu müssen. Er hatte sie in Anbetracht der Mühen bei seinen Kongonegern gelassen, wie er sagte. Die Batwa waren scheu und ließen sich unter keinen Umständen vermessen. Stackler gab sich damit zufrieden, wenigstens das von den Frauen im Gürtel getragene Mandingo, ein aus Gras geflochtenes Glied, eingetauscht zu haben.

Rassenkundliche Forschungen

Da ist zum Beispiel Stackler, der Physiologe und Anthropologe: Er ist auf der Suche nach Monstrositäten. Eine solche findet er in seinem Träger - zwei Meter acht groß -, den er kurzerhand Kilimandscharo nennt und für seine rassenkundlichen Forschungen mit nach Wien nimmt.

Den größten Raum widmeten die Zeitungen Kilimandscharo. Schwarze Lakeien gab's in Wien ja genug, aber einen Riesen in Lederhosen, mit zahlreichen Tätowierungen, direkt aus dem Busch, einen, der noch dazu einem verdienten Wissenschaftler das Leben gerettet hatte, das war es, worüber die Zeitungen schreiben wollten, was ihre Feuilleton-Leserschaft interessierte und was ihnen Stoff für allerlei Für und Wider lieferte.

Forschungswahn ohne jede Rücksicht

Als das Aufsehen in der Wiener Gesellschaft abklingt und auch Stackler sein Interesse an dem schwarzen Hünen verliert, schickt er ihn zurück nach Afrika: entwürdigt und entwurzelt, in Trachten-Lederhosen mit Hirschhornknöpfen. Auch die anderen drei Österreicher sind von einem Forschungswahn besessen, der keine Rücksichten nimmt. Der Wiener Baulöwe Krumpke etwa, ein Waffennarr und Jäger, lässt zu Beginn der Expedition vier als Träger gedungene Burschen in einer Reihe antreten und gibt eine zynische Demonstration seiner Schießkünste. Jedem setzt er eine Kokosnuss auf den Kopf.

Aus purer Angst hielten die Buben so still, als seien sie Altarkerzen, auf eiserne Dornen gesteckt, starr, deren Lebensflämmchen von jedem Luftzug hin und her geweht wird. Die Angst ließ sie halb sterben, als der erste Schuss knallte. Krumpke zerschoss alle Kokosnüsse mit einer Lässigkeit, als ging's um nichts. "Eine Kokosnuss kann man verfehlen, einen Neger nie." Krumpke lachte maliziös.

"Zutiefst österreichisch"

Der Salzburger Autor Max Blaeulich bezeichnet seinen Roman, der auf historischen Tatsachen basiert, als zutiefst österreichisch. Als ein Stück Kulturgeschichte, das geprägt ist von Rassismus und der Anmaßung zivilisatorischer Überlegenheit. Die Hauptfigur, Kilimandscharo, der zwei Meter acht große schwarze Hüne, war kein Einzelfall in der Geschichte Österreichs. Sein berühmtester Vorgänger war Angelo Soliman, ein schwarze Kammerdiener, der im Wien des 18. Jahrhunderts für Aufsehen sorgte.

"Kilimandscharo zweimeteracht" ist der erste Teil einer geplanten Trilogie, in der die Haltung der Gesellschaft gegenüber Fremden thematisiert wird.

Buch-Tipp
Max Blaeulich, "Kilimandscharo zweimeteracht", Residenz Verlag, ISBN 370171424X