Die Schönheit der Natur

Gewitterstürme und Nachsommerwelten

Adalbert Stifter schrieb seine Erzählungen in einer Zeit, in der "die wissenschaftliche Schule die allgemein menschliche in Europa überholt" hat. Wie sind Stifters literarische Werke im Kontext des zeitgenössischen Wissenschaftsdiskurses zu verstehen?

"Adalbert Stifter war ein naturwissenschaftlich gebildeter Schriftsteller und sein naturwissenschaftliches Wissen ist auch in seinem Werk präsent", so charakterisiert Johann Lachinger, Germanist und langjähriger Leiter des Adalbert-Stifter-Institutes in Linz den Dichter, der als einer der größten Erzähler der deutschsprachigen Literatur gilt.

Genauigkeit des Beobachtens und minutiöse Naturbeschreibung gelten den einen als die größten Vorzüge den Schriftstellers, die anderen richten eben dieses gegen ihn, nennen ihn einen altväterlichen Langweiler, einen langatmigen und weitschweifigen Darsteller leidenschaftsloser Welten.

Natur und Mensch miteinander vermitteln

Während Stifters Lebenszeit nahmen Wissenschaft und Technik einen enormen Aufschwung, wurden die Grundlagen gelegt, die zu den großen geistigen Revolutionen im 20. Jahrhundert führen sollten: Mendels Begründung der statistischen Genetik, Darwins Evolutionsforschung, Maxwells Theorie des elektromagnetischen Feldes beispielsweise. In Stifters Todesjahr wurde eine Meisterleistung der Ingenieurswissenschaften, die Bahnstrecke über den Brenner eröffnet.

Das Naturbild von Stifter, wie es in seinen Erzählungen vom "Kondor" bis zur Beschreibung des Schneesturmes in "Aus dem baierischen Walde" zu finden ist, hat andere Grundlagen: "Er hat sich ganz stark der Goethezeit verbunden gefühlt, wollte eine Naturwissenschaft, die nicht mechanisch auf Naturbeherrschung aufbaut, sondern die vom Gedanken des Organischen her die Natur und den Menschen miteinander vermitteln soll", fasst der Stifter-Biograf Wolfgang Matz zusammen. Die Nachtseite der Natur entnahm Stifter der Romantik eines E. T. A Hoffmann.

Frühes Interesse für die Natur

Stifters naturwissenschaftliche Bildung erfolgte in drei Stufen: Noch in seinem Geburtsort Oberplan, wo er am 23. Oktober 1805 zur Welt kam, gab ihm der Volksschullehrer Josef Jenne das Buch "Naturgeschichte für Kinder" von Georg Christian Raff, in der Natur bereits mit einer gewissen Systematik dargestellt ist. Am Stiftsgymnasium Kremsmünster lernte er die Grundlagen von Mathematik, Physik und Geografie, erlebte im mathematischen Turm die gesamte physische Welt und konnte so den Stufenbau der Schöpfung studieren.

An der Wiener Universität Wien wurden Naturwissenschaften nach der "Naturlehre" seines Mentors Andreas Baumgartner gelehrt, der später Präsident der Akademie der Wissenschaften, Minister, Staatsbahndirektor und Errichter der ersten österreichischen Telegrafenlinie wurde.

Naturverfallenheit

Der Stifter-Biograf Wolfgang Matz charakterisiert in seinem Essay "Gewalt des Gewordenen" Stifters Haltung zur Natur als "Naturverfallenheit": In einer Zeit, in der das metaphysische, religiöse, wissenschaftliche und ästhetische Bild von der Natur der Welt nicht mehr eines ist, wo alles an seinem Platze und in der Ordnung steht, kann auch die moderne Naturwissenschaft dieses einheitliche Weltbild nicht mehr herstellen.

Stifter setzt "gegen ihre Erkenntnisse das Andere der Natur, ihre Schönheit. Das System der Wissenschaften ist ihm nicht die ganze Wahrheit und nicht einmal deren wesentlicher Teil". Der Weg führt vom Naturbeobachter und Naturschilderer zum Künstler, zum Naturmaler (was Stifter selbst auch versuchte, was ihm jedoch nie wirklich gelang).

"Großartig erhaben" und "furchtbar" war Stifter die Natur, was erstmals in der Beschreibung der totalen Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842 zu spüren ist, in der sich Stifter wie der vom Berg Sinai herabsteigende Moses fühlt, als er den Kornhäuslturm in Wien verlässt, wo er das Ereignis beobachtet hat.

Das sanfte Gesetz

In seiner Vorrede zu den "Bunten Steinen" formuliert Stifter sein "sanftes Gesetz". Es besagt, - so Wolfgang Matz - "dass die Menschen nicht wichtiger als die Natur sind, das Große nicht wichtiger als das Kleine, das Gewalttätige nicht wichtiger als das Friedliche ist. Damit ist es ein Gesetz, das Jahrhunderte der abendländischen Kultur vollständig auf den Kopf stellt".

Das Zerstören von Natur und von Menschen sind Untaten gegen die Schöpfung: Das Sittengesetz ist das Menschen erhaltende Gesetz, das "sanfte Gesetz" das "welterhaltende". Vollendet waltet dieses "sanfte Gesetz", in dem viel ökologisches Gedankengut steckt und das auf die Aktualität Stifters verweist, in Stifters Hauptwerk, dem "Nachsommer".

Hör-Tipp
Hörspiel-Studio, Dienstag, 22. Jänner 2008, 20:31 Uhr

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Buch-Tipps
Arnold Stadler, "Mein Stifter", DuMont Verlag, ISBN 3832179097

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Leopold Federmair, "Adalbert Stifter und die Freuden der Bigotterie", Otto Müller Verlag, ISBN 3701310955

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Adalbert Stifter, Wolfgang Matz (Hrsg.), "Sämtliche Erzählungen nach den Erstdrucken", Dtv, ISBN 3423133694

Wolfgang Matz, "Adalbert Stifter oder Diese fürchterliche Wendung der Dinge", Dtv, ISBN 342334220X

Matz Wolfgang, "Die Gewalt des Gewordenen", Droschl Literaturverlag, ISBN: 3854206917

Link
Stifter Haus