Von Latein zum Italienisch
Der Turmbau zu Babel
Die meisten heute in Europa gesprochenen Sprachen gehören zur indoeuropäischen Sprachfamilie. Ausnahmen vom Indoeuropäischen sind: Baskisch, Ungarisch, Türkisch, Estnisch und Lappisch. Warum spricht man in Europa gerade jene Sprachen, die man spricht?
8. April 2017, 21:58
Warum spricht man in Europa gerade jene Sprachen, die man spricht? Wann und wie kam es dazu?
Der britische Archäologe und Sprachforscher Sir Colin Renfrew von der Universität Cambridge meint dazu: "Wir verstehen das am besten bei den romanischen Sprachen, deren Verbreitung mit dem Römischen Reich und seinen Eroberungen zusammenhängt. In den anderen Fällen habe ich die simple Vorstellung, dass die meisten Sprachen heute noch dort gesprochen werden, wo sie entstanden sind.
Welche Sprache entstand wo?
Nach dieser Ansicht entwickelten sich aus dem Ur-Indoeuropäisch die so genannten italischen Sprachen, von diesen ist heute in Italien nur noch Italienisch übrig geblieben. Im Nordwesten entwickelten sich während einer langen Zeit die keltischen Sprachen, wie beispielsweise Irisch.
In Skandinavien und vielleicht auch in Norddeutschland entstanden die germanischen Sprachen. Bei den slawischen Sprachen sei die Situation komplizierter, sagt Colin Renfrew, da diese Menschen zum Teil sehr mobile Reitervölker seien.
Keine Änderung bei der Verteilung der Sprachen
"Ich persönlich glaube, dass die slawischen Sprachen ihren Ursprung am Balkan haben, vielleicht auch in der Ukraine, das möchte ich nicht ausschließen", so Colin Renfrew. "Jedenfalls entspricht meiner Meinung nach die Verteilung der Sprachen im heutigen Europa im Großen und Ganzen jener vor 2 500 Jahren - ausgenommen die romanischen Sprachen, die dem Latein folgten."
Diese Ansicht Colin Renfrews über den Ursprung der slawischen Sprachen ist nicht unumstritten. Tatsächlich liegen auch die Anfänge des Germanischen im Dunkeln. Einig sind sich Wissenschafter über den Ursprung der romanischen Sprachen: Vor dem Italienischen, Französischen, Spanischen usw. sprachen die Menschen Latein.
Die Entwicklung einer Sprache
"Aber kein Römer legte sich am Abend nieder und stand am folgenden Morgen im Bewusstsein auf: Ab heute rede ich Italienisch", sagt Tore Janson, Linguist an der Universität Göteborg. "Eine Sprache hört nicht einfach auf, zu existieren, sondern die Menschen wechseln entweder zu einer anderen Sprache über oder ihr Dialekt hat sich soweit verändert, dass die Sprache eine neue Bezeichnung bekommt. Mit Latein ist das so geschehen: Latein hörte irgendwann einmal auf als gesprochene Sprache zu existieren; aber niemand hörte damit auf, Latein als Muttersprache zu verwenden. Vor 2000 Jahren waren alle Römer überzeugt, dass sie Latein sprechen. Vor 1000 Jahren dachten die Menschen im heutigen Italien noch immer, dass sie Latein sprechen, obwohl sich die Sprache bereits stark verändert hatte. Vor 500 Jahren dachten in Italien niemand mehr, dass er Latein spräche, denn die Menschen bezeichneten ihre Sprache selbst als Italiano. Diese Veränderung war also schrittweise geschehen."
"Es ist eine Frage des Selbstverständnisses, was Menschen glauben, dass sie sprechen", sagt Wolfgang Dressler, Vorstand des Instituts für Sprachwissenschaften der Universität Wien. Beispielsweise meinen Norweger und Schweden, jeweils eine eigene Sprache zu sprechen, obwohl sich Norwegisch und Schwedisch nicht stärker voneinander unterscheiden als der deutsche und der österreichische Dialekt.
Und Tore Janson fügt hinzu: In Italien sei der Prozess besonders gut nachvollziehbar, wann dieses Selbstverständnis entstand. "Das geschah als die Menschen begannen, so zu schreiben, wie sie sprachen. Diese neue Schriftsprache erhielt im 13. und 14. Jahrhundert einen Namen. Und Dante Alighieri war der erste große Dichter, der in dieser neuen Sprache schrieb. Aber er selbst verwendete den Ausdruck Italienisch noch nicht; dieser kam erst eine Generation nach seinem Tod in Gebrauch."
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