Rockopas ohne Rosenzucht

Und wieder rollen die Steine

Die inzwischen dienstälteste Rockband geht noch immer nicht in Pension. Im Gegenteil: Die Herren Jagger, Richards und Co befinden sich derzeit auf Welttournee, und heute erscheint "A Bigger Bang", das neue Album der Rolling Stones.

Ein neues Album der Rolling Stones war angekündigt, die E-Mail Presseaussendungen mehrten sich, je näher der Tag der Wahrheit rückte. In diversen Zeitungen und Zeitschriften wurde schon Wochen vor dem Erscheinen des Albums "A Bigger Bang" darüber debattiert, wie denn nun ein ganz bestimmter Song zu verstehen sei. Ist das Liedchen "Sweet Neocon" eine Abrechnung mit Herrn Bush?

Bäng?

Sir Mick Jagger singt: "You call yourself a Christian / I think that you're a hypocrite / You say you are a patriot / I think that you're a crock of shit." Und dann wird auch noch der Rüstungskonzern Halliburton erwähnt, der von 1995 bis 2000 von US-Vizepräsident Dick Cheney geleitet wurde, und der im Irak tätig ist. Nein, natürlich habe er niemanden persönlich beleidigen wollen, aber die Politik dieser Regierung sei schon ein Kritikpunkt, erklärte Mick Jagger. Ein Sturm im Wasserglas. Befand auch Gitarrist Keith Richards: "Ich persönlich hasse eigentlich Politiker als Songthema. Und ich finde, sie sind keinen Song der Rolling Stones wert! Wir lassen ihnen damit zu viel Ehre zukommen."

Irgendwie ja rührend, dass über so etwas Winziges wie ein Song in den Medien diskutiert wird. Das hat wohl erstens damit zu tun, dass das Spiel auf der Publicity-Orgel von den Stones virtuos beherrscht wird. Und zweitens sind die ewig rollenden Steine ja nicht irgendeine Band, sondern so etwas wie eine lieb gewonnene Institution.

It’s Only Rock 'n' Roll (but we like it)

Was die Rolling Stones betrifft, bin ich eine zu spät Geborene. Immer wieder staune ich, wenn älteren Bekannten dieses verklärte Strahlen in die Augen kriecht, sobald von dieser Band die Rede ist.

Ja, ja, ich weiß, dass der arrogante Sexappeal der Stones einst die Emotionen hoch schwappen ließ, dass sich die Fronten im Glaubenskrieg Beatles versus Stones durch die Jugendzimmer zogen, dass die Glimmer Twins Richards und Jagger atemberaubende Gitarrenriffs mit aufreizendem Gesang und ebensolchen Posen paarten. Aber auch, dass die heutigen Multimillionäre einst als schmutzige, aggressive Exponenten einer proletarischen Musik galten, dass die blassen Briten sich intensiv mit den amerikanischen, musikalischen black roots auseinander setzten und es irgendwie schafften, einen ganz eigenen, eben den Stones Sound zu kreieren.

Sie rollen und rollen und rollen

Das alles kann ich mir erzählen lassen, kann es nachlesen und nachhören. Doch meine frühesten Erinnerungen an die Herren Richards und Jagger haben weder etwas mit arrogantem Sexappeal noch mit pubertären Drogenexzessen oder mit zertrümmertem Mobiliar zu tun. Musik der Rolling Stones hörte ich erstmals als Teenager so circa in den mittleren 80er Jahren. Und mich hat damals eigentlich vor allem die Frage beschäftigt, ob und warum dieser faltige Kerl namens Keith Richards schwarzen Kajal verwendet. Für mich waren die Stones also, seit ich mich erinnern kann, die älteren Herren, die noch immer da sind.

Und eigentlich ist es doch einfach wunderbar, dass diese kauzig aussehenden Originale nicht Rosen züchtend in Pension gehen, sondern immer wieder auftauchen und Musik machen - ganz egal ob es nun musikalisch ein "Big Bang" oder doch eine kleinere Überraschung sein mag. Niemand erwartet von den Stones musikalische Revolutionen, die haben sie längst hinter sich gebracht. Und glaubt man dem Autor Giles Smith, dann werden die vom Leben sichtbar gezeichneten Rockopas wohl noch einige Male auftauchen: Oldies wie die Rolling Stones kommen immer wieder zurück, mit Gesichtern, die aussehen wie zerkaute Gummispielzeuge für Hunde.

CD-Tipp
Rolling Stones, "A Bigger Bang", Virgin Music 3379942

Links
Virgin Music - A Bigger Bang
Rolling Stones