Beobachtungen von Ádám Nádasdy

Sprache lebt

Auch als Sprachwissenschaftler kann man eine Figur des öffentlichen Lebens sein. Zumindest in Ungarn, wo mittlerweile genauso über Gefährdung der Sprache und Sprachschutz diskutiert wird wie in Frankreich. Ádám Nádasdy kann ein Lied davon singen.

Ádám Nádasdy leitet das Institut für Englische Linguistik der Budapester ELTE-Universität und nennt eine gutbürgerliche Wohnung auf der Pester Seite der Donau, unweit der Margareteninsel, sein eigen. Der soignierte Herr Ende der 50 hat einige Lehrbücher verfasst, jede Menge Aufsätze über Themen wie Phonologie und Etymologie, außerdem vier Gedichtbände. Seine Bekanntheit verdankt der Sprachwissenschaftler aber einer dritten Tätigkeit: der des Kolumnisten in der liberalen Wochenzeitschrift "Magyar Narancs". So schreibt Nádasdy zum Beispiel Ende Juli 2005:

Ich vermute, auch Sie denken mitten im Urlaub darüber nach, was genau eine Postposition ist. Das wundert mich nicht, denn die Postposition ist tatsächlich eine merkwürdige Kreatur: Sie ist ein Wort und auch kein Wort, ein Suffix und auch wieder keines, sie hat eine Bedeutung und auch wieder nicht. Obendrein verwenden die uns bekannten Fremdsprachen sie kaum und somit erscheint die Postposition als ungarische Eigenart.

Ist Ungarisch in Gefahr?

So "heiße" Themen diskutiert Ádám Nádasdy, aber natürlich auch solche, die die Ungarn tatsächlich bewegen. Ob die ungarische Sprache, heute, nach dem Ende des Kommunismus, Einflüssen aus ganz Europa ausgesetzt, in Gefahr sei.

"Als Linguist muss ich sagen, dass die politischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte überhaupt nicht die Sprache berührt haben, nur den Wortschatz", meint Ádám Nádasdy. "Aber der Wortschatz ist nur die Oberfläche."

Zumindest die Fassade der jahrzehntelang abgeschotteten Sprache hat sich in den letzten 15 Jahren tatsächlich stark verändert. Nicht nur in Wirtschaft und Wissenschaft, auch im Alltag setzt sich, für viele irritierend, Fremdes durch.

"Wörter wie 'feeling', eine Stimmung, eine Atmosphäre, das benutzt ja schon jeder", fällt Nádasdy auf, und weiter: "Aus dem Französischen 'Baguette' und 'Croissant', oder aus dem Italienischen 'Mafia', 'Mafioso', das ist ein ganz normales ungarisches Wort geworden, nicht ohne Grund, muss ich leider sagen."

Neuschöpfungen statt Fremdwörtern

Doch nicht weniger massiv hat sich in Ungarn die Gegenbewegung formiert. Prominente Politiker oder Journalisten schlagen ungarische Wortneuschöpfungen anstelle von Fremdwörtern vor, im Sprachpflegeausschuss der Ungarischen Akademie wird darüber ebenso diskutiert wie in Tageszeitungen. Eine Debatte über Sprach- und damit Kulturschutz also, wie sie etwa in Frankreich schon Tradition hat. Und auch in Ungarn nicht ohne Erfolge: Statt "Computer" hat sich verbreitet "számitógép" durchgesetzt, Rechenmaschine, auch für das "Internet" wird Ersatz propagiert: "Világ-háló", also Weltnetz. Natürlich kann man all das sagen, meint Ádám Nádasdy, aber notwendig sei so ein Purismus für die Sprache nicht.

Der deutsche Linguist Humboldt formulierte es so: Die Sprache ist nicht "Ergen" (Produkt, Ergebnis), sondern "Energeia" (Wirkung, Schöpfungskraft, kreative Fähigkeit), also Energie. "Jederzeit können neue und ungewöhnliche Wörter produziert werden", meint Nádasdy, "wie: Kannst du dir ein sambaloses Brasilien vorstellen oder ein walzerloses Wien?"

Sprechen kann jeder!

Solche Erläuterungen eines Sprachwissenschaftlers bewirken regelmäßig erboste Reaktionen, aber: "Ich kann nur beschreiben, was es gibt!", meint Ádám Nádasdy dazu. "Aber manche Leute glauben, dass man die 'garstigen' Sachen überhaupt nicht beschreiben sollte."

"Die ersten Linguisten des europäischen Kulturkreises, die Griechen, beschäftigten sich nur mit der schriftlichen Form der Sprache", erzählt Ádám Nádasdy. "Ihnen ist es nicht einmal in den Sinn gekommen, sich mit der gesprochenen Sprache zu beschäftigen: Sprechen kann jeder Dahergelaufene, im Gegensatz zur Schrift, die Wissenschaft und sogar Kunst ist. Die Griechen haben den sprachlichen Konservativismus entdeckt ('die Sprache der Ahnen war schöner') und den sprachlichen Purismus bzw. den Sprachschutz ('die Sprache verdirbt')."

Wen wundert's, dass Ádám Nádasdy die Sache anders sieht. "Aus linguistischer Sicht ist das falsch, denn dann müssten wir auch behaupten: Mihály Vörösmarty konnte besser Ungarisch als Janos Kóvács, ein Hilfsarbeiter von heute. Wenn Kóvács ungarischer Muttersprachler und im Besitz seiner Sinne ist, dann kann er genauso gut Ungarisch wie der selige Dichter. Für einen Linguisten ist es kein Argument, ob ein Ausdruck in einem klassischen literarischen Werk vorkommt oder im Gespräch heutiger Durchschnittsmenschen."