Leben und Sterben im Irak
Andy und Marwa
"Ich trauere nicht nur um die Kinder des Irak, sondern auch um die jungen GIs, die niemand gefragt hat, ob sie diesen Krieg wollten", schreibt Jürgen Todenhöfer in seinem Buch, in dem es um ein 12-jähriges irakisches Mädchen und einen 18-jährigen Gi geht.
8. April 2017, 21:58
Im neuen Buch von Jürgen Todenhöfer geht es um zwei junge Menschen, die wider Willen in den Irak-Krieg verwickelt wurden, Andy und Marwa: ein 18-jähriger amerikanischer Soldat, der in Bagdad ums Leben kam, und ein 12-jähriges irakisches Mädchen, das bei einem Bombenangriff ein Bein verlor. Marwa kennt der Autor persönlich, er hat von ihr über UNICEF erfahren, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, für das sich Jürgen Todenhöfer engagiert, und sie schließlich in München getroffen, wo Marwa dank seiner Hilfe operiert wurde und eine Prothese erhielt.
Zwei Leben
Andrew Julian Aviles stammte aus Tampa in Florida. Ein guter Schüler und sportbegeisterter Bursche, der sich nach der High-School zur Grundausbildung als Reservist bei den Marines meldete, zum Entsetzen seiner Eltern. Man hatte ihm ein paar Gewichtheberhandschuhe versprochen - und das beste Training der Welt. Ende Februar 2003 wurde er nach Kuwait geschickt. Sechs Wochen später, am 7. April, traf ihn in Bagdad ein Geschoß von Saddam Husseins Artillerie.
Marwa kam sieben Jahre nach Andy zur Welt. Mit ihrer Mutter und fünf Geschwistern, ein sechstes kam im Bombenhagel um, lebt sie in Bagdads Elendsviertel Saba Qusur, in einer schäbigen Baracke mit winzigen Zimmern und Plumpsklo. Ihr Vater starb, als sie zehn war. Am Tag, als Andy ums Leben kam, zerfetzte ihr eine Bombe das rechte Bein. "Es gibt Hunderte von Büchern über den Irak-Krieg, es gibt kein einziges über die Opfer", stellt Todenhöfer fest. "Ich glaube, dass diese beiden Geschichten eine viel härtere Anklage gegen diesen völkerrechtswidrigen Krieg sind als alles, was Politiker - auch was ich - zu diesem Krieg gesagt haben."
Gespräche und Eindrücke
Wenn man diesen Krieg richtig schildern wollte, dürfte man nicht allein die Zahl der Bomben und Raketen auflisten, der eingesetzten Flugzeuge und Panzer, man müsste das Schicksal der mehr als 1.000 getöteten amerikanischen Soldaten schildern, sagt Jürgen Todenhöfer; aber auch das der rund 30.000 gefallenen irakischen Wehrpflichtigen und der schätzungsweise 100.000 Zivilisten, denen der Krieg das Leben kostete.
Das Leben seiner jugendlichen "Helden" hat Todenhöfer zumindest in Bruchstücken rekonstruiert. Er ist nach Florida gefahren und hat Andys Eltern und Freunde interviewt, er war in Bagdad und machte sich vom Alltag Marwas ein Bild. Sein Buch ist das literarisierte Protokoll seiner Gespräche und Eindrücke. Todenhöfer will nicht in erster Linie über große Politik räsonieren - das tut er in seinem Vor- und Nachwort -, er will die Welt mit den Augen seiner Protagonisten sehen, einer Sicht nicht von oben, sondern von unten.
Wut und Schmerz sind überall gleich
"Andys edler Dienst während der Operation 'Iraqi Freedom' hat mitgeholfen, die Sicherheit unseres Vaterlandes und die Freiheiten, die Amerika so teuer sind, zu erhalten", schrieb der amerikanische Präsident in einem Kondolenzbrief an Norma und Oscar Aviles, die Eltern von Andy. "Seine Eltern haben an die dortige Lokalzeitung zornige Briefe geschrieben und haben gesagt, es gab doch gar keine Massenvernichtungswaffen, es ging keine Bedrohung aus, es gibt keine Verbindung des Irak mit Al-Kaida", erzählt Todenhöfer." Der Tod dieses Burschen war völlig sinnlos.
Er "wird nie mehr erleben, wie die Sonne über den schneeweißen Stränden von Florida aufgeht", schreibt Jürgen Todenhöfer über Andy. Sie "weinte nicht mehr", sie "hatte keine Tränen mehr", bemerkt er über Marwas Mutter Faleeha. Sätze, die belegen: Wut, Schmerz und Empörung sind keine guten literarischen Ratgeber.
Mitempfindender Autor
Gerade, weil sich der Autor immer wieder als Mitempfindender einbringt, verliert seine Geschichte an Strenge und Direktheit. Nüchterne Dokumentation, sachliche Reportage, striktes O-Ton-Protokoll wären authentischer und wirkungsvoller gewesen als Todenhöfersche Betroffenheitsprosa. Dabei ist dem Autor in der Sache natürlich Recht zu geben: Der Krieg war absurd. Das Ergebnis heißt Chaos. Die Verluste werden totgeschwiegen.
Mit dem Honorar seines letzten Buches, das 200.000 Mal verkauft wurde, ließ Jürgen Todenhöfer in Kabul ein Heim für kriegsversehrte Waisenkinder bauen und in Bagdad ein Ausbildungszentrum für Straßenkinder planen. Auch mit dem neuen Buch will er Gutes tun und sein Honorar für Kinderheime in der Dritten Welt zur Verfügung stellen. So ist "Andy und Marwa" wenn auch nicht die beste und tief schürfendste Veröffentlichung zum Irak-Krieg, so doch vielleicht eine der nützlichsten.
Buch-Tipp
Jürgen Todenhöfer, "Andy und Marwa. Zwei Kinder und der Krieg", C. Bertelsmann Verlag, ISBN: 3570008592