Vom Computerpionier zum Dissidenten

Joseph Weizenbaum gestorben

Er war einer der großen Computerpioniere, doch nach anfänglichem Enthusiasmus, entwickelte sich der deutsch-amerikanische Forscher zu einem Kritiker der fortschreitenden Computerisierung der Welt. Weizenbaum starb im Alter von 85 Jahren in Berlin.

Kurz vor seinem Tod am 5. März 2008 schrieb Joseph Weizenbaum. amerikanisch-deutscher Computerpionier, Kulturkritiker und Intellektueller in einem Mail:

Unser Tod ist der letzte Service, den wir der Welt leistenkönnen: würden wir nicht aus dem Weg gehen, würden die uns folgenden Generationen die menschliche Kultur nicht wieder frisch erstellen müssen. Sie würde starr, unveränderlich werden, also sterben. Und mit dem Tod der Kultur würde alles Menschliche untergehen.

Weizenbaum starb im Alter von 85 Jahren in Berlin.

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Weltweit war Joseph Weizenbaum ein gern gehörter und gesehener Gast bei Symposien, vor allem wenn es um die drohende Diktatur der Technik oder ähnliche Themen geht. Der früher mit großem Engagement und Enthusiasmus auf seinem Spezialgebiet - der Computertechnologie - arbeitende Berliner hatte sich im Laufe der Zeit zu einem Computerkritiker gewandelt, zu einem "Dissidenten und Ketzer", wie er sich selbst nannte.






























































Die Welt ist ein einziger Computer

Durch die Computer sei es zu einer Transformation der Welt gekommen, der Mensch habe aus der Welt einen Computer gemacht, schrieb Joseph Weizenbaum in seinem Buch "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft":

"Ohne Frage hat die Einführung des Computers in unsere bereits hoch technisierte Gesellschaft lediglich die früheren Zwänge verstärkt und erweitert, die den Menschen zu einer immer rationalistischeren Auffassung seiner Gesellschaft und zu einem immer mechanistischeren Bild von sich selbst getrieben haben", sagte Weizenbaum in einem Gespräch, das Rainer Rosenberg und Petra Herczeg mit ihm im Rahmen der die Ö1 Reihe "Menschenbilder" geführt hatten.

Passagiere auf einer Titanic

Auch in dem Buch "kurs auf den eisberg" findet sich das folgende Zitat von Joseph Weizenbaum über die Situation, in der sich die Menschheit heute befindet:

Meiner Überzeugung nach sind wir heute alle Passagiere auf einer Titanic: Wir fahren auf den Eisberg zu, aber es ist zu spät, das Steuer herumzureißen. Es ist uns einfach bestimmt, auf diesen Berg aufzufahren ... das Schiff muss sinken. Wenn die Gefahr zunehmender, sogar massiver struktureller Arbeitslosigkeit anhält, d. h. der Ersatz von Stellen für Menschen durch Roboter und Computer gesteuerte Abläufe, dann wird sich - so fürchte ich - bald Armut und Elend in der westlichen Welt ausbreiten und wahrscheinlich eine weltweite Wirtschaftskrise auslösen".

Der Computertechniker - Informatiker - muss sich nach den Worten Weizenbaums nicht nur mit den Möglichkeiten der Technik auseinandersetzen, sondern auch mit den Grenzen und auch sehen, dass nicht alles, was möglich ist, auch im Dienste der Menschheit steht.

Seine Liebe zu und Taten mit den Zahlen

Die Liebe zu den Zahlen hat sich für den 1923 in Berlin als Kind jüdischer Eltern geborenen Joseph Weizenbaum schon als Bub geöffnet. Mathematik war in der Schule sein Lieblingsgegenstand. Schon als Kind kam er auch mit den zionistischen Ideen in Berührung. Aus dem Luisenstädtischen Realgymnasium ausgeschlossen, besuchte er eine jüdische Schule mit ostdeutschen Kindern. 1936, drei Jahre nachdem die Nationalsozialisten die Macht an sich gebracht hatten, entschieden die Eltern, nach Amerika auszuwandern, obwohl er - damals 13-jährig - eigentlich nach Israel emigrieren wollte. Die Familie siedelte sich in Detroit an, wo er 1941 Mathematik zu studieren begann.

Nach seinem Kriegseinsatz bei der meteorologischen Abteilung der Luftwaffe wurde Weizenbaum zunächst Forschungsassistent an der Fakultät für Mathematik. 1952, nach Abschluss des Studiums, folgten die ersten Aufträge für die Industrie. Als Systems Engineer bei General Electric war er u. a. an der Konzeption des ersten Computer-Banksystems maßgeblich beteiligt.

1963 ereilte ihn schließlich der Ruf an eine der einflussreichsten technischen Universitäten der Welt: an das MIT, das Massachusetts Institute of Technology, wo er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1988 blieb. Vorerst interessierte ihn die reine Mathematik. Er selbst sagte, er wurde "verführt", sich mit der Hard- und Software von Computern auseinanderzusetzen. Es folgten zahlreiche Forschungsarbeiten, die u. a. zum Aufbau eines ersten Computer-Netzwerkes führten, dem so genannten ARPA-Netz, das als Mutter für das heutige Internet gilt.

Seine Beziehung zu "Eliza"

Am MIT entwickelte er in der Zeit von 1964 - 1967 auch ein Sprach-Analyse-Programm namens "Eliza“, mit dem man sich schriftlich unterhalten konnte. Die Antworten aus dem Computer waren aus einfachen Regeln und Schlüsselwörtern zusammengesetzt. Die Reaktionen der User, die - auch wenn sie wussten, dass sie nur mit einer Maschine kommunizierten - eine Beziehung zum Computer aufbauten, genügten, um bei Joseph Weizenbaum einen Nachdenkprozess auszulösen.

Der zusätzliche Schock durch die Idee von Dr. Kenneth Mark Colby, der das Computerprogramm für therapeutische Zwecke einsetzen wollte, bewirkte in ihm, dass er sich immer kritischer mit der Computerentwicklung auseinander setzte. Die "Eliza-Effekte" zeigten Weizenbaum, dass die Menschen, die sehr wenig über Computer wussten, dennoch den Eindruck hatten, von der Maschine verstanden zu werden, auch wenn er ihnen erklärte, dass dies nur eine Illusion sei.

Ich bin Gesellschaftskritiker

Zuletzt wandte sich der große, alte Mann der Computertechnologie gegen Kriege und gegen den Bau von Anti-Ballistic-Missile-Systemen. Und so war er auch einer der Mitbegründer der CPSR, der Computer Professionals for Social Responsibility. Ihm ging es vor allem darum, Gegenstrategien zur "drohenden Diktatur der Technik" zu entwickeln, und darum, dass sich die Naturwissenschaftler nicht auf eine neutrale Position zurückziehen können, sondern sich ihrer Verantwortung für die Gesellschaft bewusst werden müssen.

Selbst sah sich der zuletzt wieder in Berlin lebende Joseph Weizenbaum nicht als Computerkritiker, sondern pflegte - spitzbübisch lächelnd - zu sagen: "Computer können mit Kritik nichts anfangen. Ich bin Gesellschaftskritiker".

Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 27. Juli 2008, 14:05 Uhr

Buch-Tipps
Joseph Weizenbaum, "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft", Suhrkamp

Joseph Weizenbaum und Gunna Wendt, "Wo sind sie, die Inseln der Vernunft im Cyberstrom? Auswege aus der programmierten Gesellschaft", Herder, Freiburg

Joseph Weizenbaum, "Computermacht und Gesellschaft. Freie Reden", Suhrkamp

Joseph Weizenbaum und Klaus Haefner, "Sind Computer die besseren Menschen? Ein Streitgespräch", Piper

Joseph Weizenbaum, "Wer erfindet die Computermythen? Der Fortschritt in den großen Irrtum", Herder, Freiburg

Joseph Weizenbaum, "Kurs auf den Eisberg", Piper

Link
Wikipedia - Joseph Weizenbaum

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