Fundamentalismus heute und was man darunter versteht

Politik mit Gott machen

Während religiöser Fundamentalismus in Israel sich auf "Eretz Israel" bezieht, stellen amerikanischer und islamistischer Fundamentalismus Ansprüche auf Weltherrschaft. In Europa ist die Situation etwas anders, doch auch hier kommt plötzlich wieder Gott in die Politik.

Immer mehr kehrt heutzutage das religiöse Vokabular in die Politik zurück. Heute nennen sich zwar nicht mehr die Staatsoberhäupter "Herrscher von Gottes Gnaden ", aber sie benützen Gott und die Heiligen Schriften der abrahamitischen Religionen, um ihre Machtansprüche zu untermauern.

Der religiöse Fundamentalismus in Israel bezieht sich dabei nur auf "Eretz Israel", das "Gelobte Land", während der US-amerikanische und der islamistische Fundamentalismus jeweils Ansprüche auf Weltherrschaft stellt. In Europa ist die Situation etwas anders - doch auch hier kommt plötzlich wieder Gott in die Politik - z. B. wenn das Wort Gott in der EU-Verfassung verankert werden soll.

Woher kommt der Begriff Fundamentalismus?

Seit ungefähr zehn Jahren hat das Wort Fundamentalismus Konjunktur, und meistens verbindet man dieses Wort mit dem Islam. Doch ursprünglich waren Fundamentalisten besonders buchstabengläubige US-amerikanische Christen.

Wie viele der Worte, die heute den Zeitgeist bestimmen, stammt auch der Begriff "Fundamentalismus" aus dem Inventar des 19. Jahrhunderts. Was besagt: Die globalen Probleme, die Modernisierung, Kolonialisierung und heute Globalisierung mit sich bringen, sind noch längst nicht bewältigt. Das haben gerade die jüngsten Anschläge in London deutlich gezeigt. Dass es jedoch ganz unterschiedliche Varianten von Fundamentalismus gibt und manches, was als fundamentalistisch bezeichnet wird, gar nicht fundamentalistisch ist, nehmen allerdings nicht allzu viele wahr.

Die Bibel und die moderne Welt

Begonnen hat alles mit dem scharfen Blick von Aufklärern wie Voltaire und anderen auf die Widersprüche der Bibel. Dann kamen Anfang des 19. Jahrhunderts in rascher Folge eine ganze Reihe von grundlegenden naturwissenschaftlichen Entdeckungen. Das Weltbild der Bibel und die modernen Wissenschaften - Biologie, Medizin, aber auch Erdkunde und Psychologie - passten auf den ersten und auch auf den zweiten Blick nicht zusammen.

Theologen suchten mit Hilfe intensiver textkritischer Untersuchungen und neuen Interpretationen, Bibel und moderne Welt miteinander zu versöhnen. Das gelang gut - doch es irritiert viele bis heute.

Auf der Suche nach Wahrheit

Um die Wende vom 19. zum 20 Jahrhundert haben sich protestantische Christen auf die Suche nach den Fundamenten der Wahrheit gemacht, nach den "fundamentals of truth". Dazu zählen unter anderem: die wörtliche Irrtumslosigkeit der Bibel und die Jungfrauengeburt.

In der zehnbändigen Schriftenreihe "The fundamentals, Die Fundamente, ein Zeugnis für die Wahrheit" versuchen evangelikale Geistliche, die neuen Erkenntnisse der europäischen Bibelwissenschaft samt dem daraus resultierenden Liberalismus, aber auch die Naturwissenschaft - und da vor allem die Darwinsche Evolutionstheorie - zu bekämpfen.

Die heutige Antwort auf Veränderungen

Im Jahr 1920 benützte ein Baptist namens Curtis Lee Laws den Ausdruck "Fundamentalist", um damit jene zu bezeichnen, die bereit waren, für diese Fundamente zu kämpfen. Seither spricht man von religiösen Fundamentalisten.

Heute ist Fundamentalismus in allen Religionen zu finden, nicht nur in allen christlichen Konfessionen, sondern auch im Islam und sogar im Judentum und im Hinduismus. Selbst die als tolerant geltende Religion des Buddhismus ist vom Fundamentalismus nicht verschont geblieben. Was heißt: Die Moderne mit ihren gravierenden Veränderungen ist von sehr vielen Menschen noch nicht integriert worden. Die Antwort auf die rapiden Veränderungen heißt Fundamentalismus.

Fragen religiöser Fundamentalisten

Ist die Bibel das Wort Gottes? Ist der Koran ein heiliges Buch? Ist Israel ein heiliges Land? Und wenn ja, für wen? Darf an dem Ort, an dem vielleicht einmal ein Hindu-Tempel gestanden ist, nun eine Moschee stehen? Haben Buddhisten in Sri Lanka das Recht, den dortigen Hindus Bürgerrechte zu verweigern?...

Solche und andere ähnliche Fragen stellen sich die religiösen Fundamentalisten von heute. Ihnen geht es vor allem und in erster Linie um religiöse Symbole und die Macht, deren Bedeutung zu definieren. Religiöser Fundamentalismus zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass weder die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung noch die Einsicht in die Geschichtlichkeit des Menschen akzeptiert werden. Fundamentalisten nehmen die religiöse Überlieferung so buchstäblich, wie sie nie gemeint war.

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