Eine ost-westdeutsche Abrechnung in Buchform

Typisch Ossi! Typisch Wessi!

Auch 15 Jahre nach der deutschen Vereinigung ist das Land nicht wirklich zusammen gewachsen. Angela Elis (Ost) und Michael Jürgs (West) liefern einander in einem gemeinsamen Buch die Ost-West-Abrechnung. Ferdinand Olbort hat sie dazu interviewt.

Angela Elis (Ossi) und Michael Jürgs (Wessi) erinnern sich

15 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer sind Ost- und Westdeutsche noch immer nicht richtig zusammen gewachsen. Im Gegenteil! Das Verhältnis scheint so schlecht wie nie zuvor.

Die Westdeutschen fühlen sich wirtschaftlich ausgesaugt, halten die Ossis für faul, spießig und weltfremd und haben ihr Jammern satt. Die Ostdeutschen wiederum fühlen sich belogen, mit leeren Versprechungen abgespeist und im Stich gelassen und halten die Wessis für arrogant, oberflächlich und berechnend.

Zwei Autoren - die Leipziger Theologin, Journalistin und TV-Moderatorin Angela Elis und der ehemalige aus Hamburg stammende "Stern"-Redakteur Michael Jürgs - versuchen nun in einem neuen Buch, die Vorurteile dadurch zu bekämpfen, dass sie sie aussprechen, einander gegenüberstellen und darüber diskutieren.

Die anfängliche Einigungseuphorie

Trotz des anfänglichen Fremdelns sind damals, nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989, die nachdenklichen Stimmen noch in der Minderheit. Es herrscht Eingigungseuphorie. Auch der Slogan der berühmten Montagsdemonstrationen in Leipzig ändert sich: Aus "Wir sind das Volk" wird "Wir sind ein Volk"; der Ruf nach Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten wird immer lauter.

Skeptiker wie der damalige SPD-Vorsitzende Lafontaine haben keine Chance. Er verliert 1990 die Bundestagswahl gegen Helmut Kohl, der sich zunehmend als Kanzler der Einheit profiliert, mit Pauken und Trompeten. Kohl treibt den Einigungsprozess voran, überzeugt die Westmächte, aber auch den sowjetischen Staatschef Gorbatschow. Den Ostdeutschen verspricht Kohl "blühende Landschaften", die in fünf bis maximal zehn Jahren entstehen sollen. Nach der Wirtschafts- und Währungsunion im Mai kommt es schließlich am 3. Oktober 1990 zum Beitritt der DDR zu Bundesrepublik Deutschland.

Die sichtbar werdenden Spuren der Trennung

Nach und nach werden die Ostdeutschen und die Westdeutschen aber zunehmend damit konfrontiert, dass sie trotz der gemeinsamen Sprache einen völlig anderen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Hintergund haben, dass die 45 Jahre Trennung seit dem Zweiten Weltkrieg tiefe Spuren hinterlassen haben. Bei Besuchen und anderen Kontakten lernt man die Landsleute hüben und drüben besser kennen - und sieht auch diverse Vorurteile bestätigt.

Im nun kürzlich veröffentlichten Buch "Typisch Ossi! Typisch Wessi!" beschreibt Michael Jürgs zum Beispiel die Ess-Un-Kultur der DDR, die seiner Meinung nach auch noch lange nach der Maueröffnung in den neuen Bundesländern anzutreffen ist. Angela Elis kontert hingegen darin, dass aus Westdeutschland keineswegs nur gehobene Ess-Kultur gekommen sei; die Westdeutschen hätten überhaupt keinen Grund zur Überheblichkeit.

Politische Kultur völlig verschieden

Bewegen sich gegenseitige Vorwürfe bezüglich Alltagskultur noch mehr oder weniger an der Oberfläche, so zielen solche über mangelnde politische Kultur stärker in die Tiefe. Michael Jürgs zum Beispiel schreibt, dass die Ostdeutschen kein Freiheitsverständnis hätten, dass sie durch 40 Jahre Herrschaft der kommunistischen SED politische Verantwortung schlicht verlernt hätten. Quasi zur Gegen-Illustration erzählt Angela Elis im Buch die Geschichte vom Ostdeutschen Frieder, der zwar Freiheit, aber kein Geld hat.

Ein unterschiedliches Verhältnis der Ost- und der Westdeutschen zur politischen Kultur zeigt sich auch bei den Medien. Michael Jürgs weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass zum Beispiel die überregionalen Zeitungen und Nachrichtenmagazine des Westens - von der "Süddeutschen Zeitung" bis zur "Welt", vom "Spiegel "bis zur "Zeit" - in den neuen Bundesländern kaum gelesen werden. Andererseits gibt es überhaupt keine überregionale ostdeutsche Zeitung, schon gar keine, die auch im Westen wahrgenommen würde. Angela Elis wiederum schreibt, dass die Westmedien - und hier besonders die kommerziellen Fernsehsender - nicht nur geschmackliche, sondern auch ethische Grenzen weit überschritten. Alles werde - auf gut kapitalistisch - dem Profit untergeordnet.

Bei Geld scheiden sich die Geister

Wo sich die gegenseitige Abneigung von Ost- und Westdeutschen derzeit am deutlichsten zeigt, ist dort, wo es ums Geld geht, also auf wirtschaftlichem Gebiet. Michael Jürgs weist darauf hin, dass von der Vereinigung bis zum letzten Jahr 1.250 Milliarden Euro in den Osten geflossen seien - Geld das im Westen selbst dringend gebraucht würde, etwa für die immer desolater werdenden Straßen- und Schienennetze.

Angela Elis hält dagegen, dass ein Großteil des in den Osten geflossenen Geldes gar nicht den Ostdeutschen, sondern indirekt wieder der westdeutschen Wirtschaft zugute gekommen sei und ruft die Westdeutschen zu mehr Genauigkeit bei der Verwendung von Zahlen auf.

Wann ist die psychische Einheit vollzogen?

Meinungsverschiedenheiten hin, Konflikte her: Ost- und Westdeutsche - so sind sich die beiden Autoren einig - passen zwar nicht zusammen, müssen aber weiter zusammenleben. Wie lange wird es dauern, bis sich die Unterschiede abgeschliffen haben, was können beide Seiten für ein rascheres Zusammenwachsen tun?

"Sie sollten sich Geschichten erzählen; es ist bei weitem noch nicht alles bekannt, wie wir zu DDR-Zeiten gelebt und auch überlebt haben. Damit können wir die Wessis bereichern", sagt Angela Elis. Michael Jürgs hingegen will nicht mit Storys bereichert werden. Er meint: "Je mehr sich Ossis und Wessis auf einer Ebene finden, die etwas mit Zuneigung und Liebe zu tun hat, je mehr haben beide Seiten Hoffnung für die Zukunft und auf die neue Generation".

Bis dahin allerdings scheint noch ein weiter Weg zu sein, und die Schwierigkeiten könnten künftig zunächst sogar noch größer werden ...

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Montag, 2. Jänner 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Angela Elis und Michael Jürgs, "Typisch Ossi - Typisch Wessi. Eine längst fällige Abrechnung unter Brüdern und Schwestern", Bertelsmann Verlag, ISBN 3570008622