Suhrkamp BasisBiographie
Che Guevara
Der sechste Band der Suhrkamp-Reihe "BasisBiographie" ist Che Guevara gewidmet, dem Pop-Idol der militanten Linken, nicht nur in Europa. Autor Stephan Larem umreißt darin Leben, Werk und Wirkung Ches mit wohltuender Distanz.
8. April 2017, 21:58
Die Suhrkamp-Bändchen "BasisBiographie" sind dreigeteilt. Der erste Teil, knapp 60 Seiten, ist stets dem Leben der betreffenden Person gewidmet, jeweils 40 Seiten setzen sich dann mit Werk und Wirkung auseinander. Stephan Lahrem meistert die Herausforderung, Ches Biografie auf knappstem Raum darzustellen, bravourös. Wir begleiten den argentinischen Bürgersohn durch schwere, von unberechenbaren Asthma-Attacken überschattete Kindheitsjahre, wir verfolgen seinen Lebensweg vom Medizinstudium in Buenos Aires über erste Oppositionserfahrungen in Guatemala bis hin zum revolutionären Kampf in Kuba samt späterem Ministeramt und einem doch eher ruhmlosen Tod im bolivianischen Dschungel.
Der Mensch Che
Stephan Lahrem holt den marxistischen Übermenschen Che Guevara ins Menschliche, Allzumenschliche herab: Wir lernen Che als leidenschaftlichen Schachspieler und fanatischen Leser kennen, als Bücherfresser, der sich mit den Gedichten Pablo Nerudas ebenso auseinandersetzte wie mit den Schriften Freuds und Alfred Adlers. Dabei wusste sich der asthmakranke Commandante zeitlebens als Publicity-bewusster Umstürzler in Szene zu setzen.
Auf vielen Fotos sieht man "Che" mit Baskenmütze und Zigarre; seine seit frühester Kindheit unvermeidlichen Begleiter - der Inhalator und die Asthma-Medikamente - bleiben dagegen unsichtbar.
Alles andere als zimperlich
Stephan Lahrem kratzt gehörig am Mythos Che Guevara. Der "Jesus Christus mit der Knarre", als den ihn Wolf Biermann einst besang, schreckte auch vor Fememorden nicht zurück, erfahren wir, wobei er durchaus auch selbst Hand anzulegen pflegte. Im Februar 1957 exekutierte er höchstpersönlich einen Kampfgefährten namens Eutimio Guerra, der des Verrats bezichtigt wurde. Am 17. Februar 1957 notierte Che in seinem Kriegstagebuch:
"Die Situation war für die Männer und für Eutimio unangenehm, also machte ich dem ganzen ein Ende und schoss ihm mit einer 32er-Pistole in die rechte Gehirnhälfte mit Austrittsloch. Er röchelte noch ein wenig, dann war er tot."
So ein Guerillakrieg ist kein Zuckerschlecken, da darf man nicht zimperlich sein. Ohne Skrupel und unbekümmert um Kollateralschäden ging Che auch später zu Werke: Bedenkenlos war er etwa während der Kubakrise bereit, das Leben Hunderttausender Kubaner zu opfern, wenn es der Kampf gegen den Großen Satan USA erfordert hätte. Was seine Verehrer so sehr an Che Guevara bewunderten, seinen moralischen Rigorismus, hält Autor Lahrem für eine seiner größten Schwächen.
Guevaras Schriften
Im zweiten Teil - Ches "Werk" gewidmet - werden die theoretischen Arbeiten des charismatischen Revoluzzers diskutiert, etwa seine Schrift "Der Guerillakrieg", in der Che die berühmte Theorie von der Fokusguerilla formuliert hat. Die Wirkung dieser Theorie war enorm: Die Stadtguerilla der Tupamaros in Uruguay berief sich ebenso darauf wie der SDS in Deutschland und später die Zapatisten-Bewegung in Mexiko.
Lahrem lässt allerdings keinen Zweifel daran: Die Hochzeit des Che-Guevara-Kults waren die späten 1960er: Von Berkeley bis Berlin, der Commandante mit der Baskenmütze war eines der Idole der revoltierenden Jugend.
Che Guevara versinnbildlichte eine andere Form von Sozialismus oder Kommunismus: jugendliche Militanz, stets in Kampfmontur, statt der biederen alten Herren aus dem Kreml oder dem Ost-Berliner Politbüro in ihren immer gleichen unauffällig grauen Anzügen.
Dieser Unterschied spiegelte sich auch in der Sprache wider. Um Che Guevara zu verstehen, bedurfte es nicht der Kunst, zwischen den Zeilen lesen zu können. Bei ihm gab es keine bürokratischen, stereotypen Redewendungen. Seine Formulierungen waren einfach, klar, undiplomatisch, rücksichtslos.
Aufgeklärte Distanz
Wie immer man den Gehalt der Che-Guevaraschen Schriften, die posthume Strahlkraft des Che-Mythos beurteilt, als linksradikaler Popstar, da ist sich Stephan Lahrem sicher, hat der Commandante noch eine große Zukunft vor sich.
Die Umstände und der Zeitpunkt seines Todes haben maßgeblich zur Verklärung Che Guevaras beigetragen. Er starb jung, jung genug, um als ewig jugendlicher Revolutionär in den Köpfen präsent zu bleiben. Wichtig aber ist vor allem das: Man kann Che Guevara nicht mehr an der Realisierung seiner Theorien und Utopien messen.
Stephan Lahrems BasisBiographie ist eine solide Sache. Es ist die aufgeklärte Distanz, die sie lesenswert macht. Wer freilich tiefer in die Materie eindringen will, wird um die großen Che-Biografien nicht herumkommen, etwa jene von Jorge Castaneda, erschienen ebenfalls bei Suhrkamp.
Buch-Tipps
Stephan Lahrem, "Che Guevara - Leben, Werk, Wirkung", Suhrkamp Verlag, ISBN 3518182064
Jorge Castaneda, "Che Guevara", Suhrkamp Verlag, ISBN 3518394118