Ablehnung, Skepsis und Vorurteile
Okzidentalismus
Die Autoren Ian Buruma und Avishai Margalit haben der Welt einen neuen Kampfbegriff gegeben. Ein rhetorisches Konstrukt, das helfen soll, die die gewaltsamen Attentate auf den Westen und die Feindseligkeit, die ihnen zu Grunde liegt, besser zu verstehen.
8. April 2017, 21:58
Ian Buruma und Avishai Margalit haben ein rhetorisches Konstrukt verfasst, das helfen soll, die gewaltsamen Attentate auf den Westen und die Feindseligkeit, die ihnen zu Grunde liegt, besser zu verstehen. In einer nur scheinbar pointierten Umkehrung des von Edward Said geprägten Begriffs des Orientalismus, fasst ihr jüngstes Buch alles, was den Westen bis auf den Tod hasst, unter dem ideologischen Schlachtruf Okzidentalismus zusammen. Dabei wird versucht, die Ursprünge und Motive, anti-westlicher Bewegungen - nicht nur in der islamischen Welt - zu beleuchten.
Dämonisierung des Westens
Okzidentalismus ist mehr als nur Ablehnung, Skepsis oder Vorurteil. Er beschreibt vielmehr ein ideologisches Zerrbild. Eine zerstörerische Fantasie, die ihren Feind nicht verändern oder übertrumpfen, sondern ihn schlicht und einfach zerstören will.
In ihrem Buch arbeiten Buruma und Margalit die zentralen Ideen und Grundlagen okzidentalistischen Denkens auf. Das ist etwa die Feindseligkeit gegenüber der Stadt als Hort des Lasters, der Dekadenz und der Gottlosigkeit, die Verachtung gegenüber dem Geist des Westens, der in der Wissenschaft den einzig wahren Weg zur Erkenntnis sieht und der Hass auf das gesetzte Bürgertum in seiner Wohlstandsfixiertheit.
Besonders irritiert hat die beiden Autoren diese Dämonisierung, diese vermeintlich verachtenswerten Tendenzen des Westens, weil sie als Grundlage herangezogen wird, dem Westen das Recht auf Existenz abzusprechen.
Hausgemachter Fanatismus
Die Pointe des Buches ist allerdings, dass es den Ursprung dieser Dämonisierung des Westens in Europa verortet - vor allem in Deutschland, das durch die Vielzahl an militärischen Niederlagen im 18. und 19. Jahrhundert eine ganze Reihe reaktionärer und chauvinistischer Kulturpessimisten hervorgebracht hat:
Leute wie Oswald Spengler etwa, der mit der zunehmenden Verwissenschaftlichung den Untergang des Abendlandes gekommen sah. Oder militante Idealisten wie Werner Sombart und Ernst Jünger, die die Feigheit des Bürgertums für das Ende des heroischen Nationalcharakters verantwortlich machten.
Todeskult und der Mythos vom Helden als Märtyrer - so die These der Autoren Buruma und Margalit - sind also keineswegs eine Erfindung fanatischer Islamisten, sondern vielmehr hausgemacht. Denn es war der Westen selbst, der die zentralen Stichworte und Ideen geliefert hat, mit denen heute religiöse Fanatiker und Terroristen in den Heiligen Krieg gegen Europa und Amerika ziehen.
Woher der Hass kommt
Den beiden Autoren ging es darum zu zeigen, dass der gewalttätige, politische Islam kein Sonderfall der Geschichte ist. Schließlich hat die europäische Geschichte eine Vielzahl ähnlicher Bewegungen hervorgebracht. Ziel war es, das Phänomen anti-westlicher Hassideologien aus ihrer Isolation heraus zu holen und dazu beizutragen, diese besser zu verstehen.
Dennoch wäre ein wenig mehr Präzision wünschenswert gewesen und hätte dem aufklärerischen Anspruch des Buchs sicher mehr Wirkung verliehen. Denn das offene Ende dieses Rundgangs durch die Geschichte chauvinistischer, anti-westlicher Bewegungen stellt sich die Frage, was uns die lose Verknüpfung historischer Parallelen letztlich sagen will. Dass wir uns unseren größten Feind selbst gezüchtet haben? Dass Islamisten selbst in ihrem Hass noch auf den Westen als Stichwortgeber angewiesen sind? Das wäre wohl eine etwas herablassende Annahme. Und das Wissen darum, dass der aktuelle Terror sich auf Ideen bezieht, die im Westen selbst begründet wurden, macht seinen Schrecken und seine Zerstörung nicht weniger schlimm.
Was von der historischen Gegenüberstellung verschiedener Ausformungen der Feindschaft gegenüber dem Westen also letztlich bleibt, ist ein provokantes neues Label, das Aufmerksamkeit erhaschen will, ohne wirklich Neues zu erzählen.
Buch-Tipp
Ian Buruma, Avishai Margalit, "Okzidentalismus - Der Westen in den Augen seiner Feinde", aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn, Hanser, ISBN 3446206140
Link
Hanser - Okzidentalismus