Qualität trotz Defizite

Schluss mit Nahversorgung

Lokalaugenschein in Großwolfgers im niederösterreichischen Waldviertel: Die letzte Greißlerei hat vor eineinhalb Jahren zugesperrt. Die Bewohner des Dorfes haben gelernt, ohne Nahversorgung zu leben. Ohne Auto schaut es schlecht aus.

Die letzte Greißlerei hat vor eineinhalb Jahren zugesperrt, Wirtshaus gibt es schon lange keines mehr und die Anbindung an den öffentlichen Verkehr besteht aus einer Bushaltestelle, an der kein Bus hält. "Na ja wenigstens einen Schulbus gibt es noch", meint der ehemalige Ortsvorsteher Rupert Breiteneder.

In Großwolfgers, einer Katastralgemeinde von Weitra im Bezirk Gmünd im Waldviertel ist der Betreiber des letzten kleinen Geschäftes in den wohlverdienten Ruhestand gegangen, hier versorgten sich die Einheimischen mit dem Nötigsten des täglichen Hausgebrauches, vom frischen Gebäck bis zum Waschmittel, von der Tageszeitung bis zur Schachtel Zigaretten, hier wurden die örtlichen Tratschgeschichten ausgetauscht.

Von ursprünglich vierunddreißig Bauern liefern heute nur mehr sieben Milch, mehr als fünfzig Prozent der Bevölkerung ist in den letzten zehn Jahren abgewandert.

Ländliche Idylle, literarische Nahversorgung

Die Sonne scheint, um zehn Uhr Vormittags sieht man keinen Menschen in dem reizenden Angerdorf, eine Katze huscht über die Straße, ein Hahn kräht in der Ferne verspätete Aufregungsrufe, der Wind bringt die kniehohen Gräser der Angerwiese in der Mitte des Dorfes zum sanften Wogen, alles erstrahlt in herrlicher Blütenpracht. Von den Feldern ringsherum hört man entferntes Motorengedröhn, Traktoren und Mähdrescher übertönen zartes Vogelgezwitscher.

Mitten in dieser ländlichen Idylle sitzen im ehemaligen Wirtshaus mehrere Menschen an Computerbildschirmen bei ihrer Arbeit. Hier werden Texte lektoriert, wird am Layout gefeilt oder über grafische Feinheiten beratschlagt, hier werden Bücher verlegt, die inhaltlich und ästhetisch höchsten Ansprüchen gerecht werden.

Hundert Bücher aus den verschiedensten Bereichen, von international bekannten Autoren bis zu Debütanten aus der Region verlegt Richard Pils in seiner "Bibliothek der Provinz".

"Und damit", sagt er, "gibt es hier wenigstens noch die Nahversorgung mit der Literatur." Tatsächlich hat sich der Verlag auch als Treffpunkt für Einheimische etabliert, bei Festen und Veranstaltungen kommen sie vorbei, kaufen sich auch gelegentlich ein Buch.

Organisation und Mobilität

Die Bewohner von Großwolfgers haben sich damit abgefunden, dass es keinerlei unmittelbare Nahversorgung mehr gibt. Ohne Auto geht nichts. Wem der Kaffee ausgeht oder wer keine Zigaretten mehr hat, der muss entweder verzichten oder die sechs Kilometer in die ehrwürdige Braustadt Weitra fahren. "Dieses Defizit schafft auch Qualitäten," meint der Verleger Richard Pils, "ich beziehe köstliches Brot von einer Bäuerin im Dorf, werde von meinem Nachbarn, dem Bauern Anton Ertl mit ausgezeichneten Erdäpfeln versorgt, die Menschen müssen in Kontakt miteinander treten, Organisation ist ungemein wichtig."

Vor allem alte Menschen, Gebrechliche und alle ohne Auto sind von einem funktionierenden sozialen Umfeld abhängig. Die dreiundsiebzigjährige Anna Huber wird von ihrer Tochter und ihrem Sohn mit dem Nötigsten versorgt. Da der Sohn arbeitsbedingt oft die ganze Woche auswärts ist, unterstützt sie auch die Nachbarin mit kleinen Besorgungen. Frisches Gebäck bringt jeden morgen der Bäcker, alle vierzehn Tage kommt ein fahrender Fleischhauer ins Dorf.

Momentan hat sie Probleme mit ihrem Bein, sagt sie, der Doktor befürchtet, dass er es versteifen muss. Aber das wird sie nicht hindern auf das am übernächsten Wochenende stattfindende Feuerwehrfest zu gehen, diese Abwechslung im Alltag lässt sie sich nicht entgehen.

Die Feste im Sommer sagt der neunundsiebzigjährige Bauer Anton Ertl sind die letzten Gelegenheit, sich mit anderen Leuten zu treffen, Neuigkeiten auszutauschen, sich zu unterhalten. Fast alle Wirtshäuser in der Umgebung haben zugesperrt, da würde er es sehr begrüßen, wenn der Plan, wieder eine Greißlerei in Großwolfgers zu eröffnen, gelingen würde, aber so wirklich glaubt er nicht daran.

"Jetzt muss ich nach Hause zu meiner Perle", sagt er, "die wartet sicher schon auf mich". Vor kurzem hat sie einen Schlaganfall gehabt, aber schön langsam kommt sie wieder zu Kräften, nächstes Jahr wird "goldene Hochzeit gefeiert".

Download-Tipp
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Bibliothek der Provinz