Die russische Staatsfiliale namens Belarus

Das Reich des Alexander Lukaschenko

Um eine Demokratiebewegung wie in der Ukraine in seinem Land zu verhindern, kämpft Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko an allen Fronten und mit allen Mitteln. So erklärte der Moskau treue Vasall kürzlich auch die polnische Minderheit zum Staatsfeind.

Stanislaw Schuschkewitsch über Russlands Einfluss

Seit 1994 regiert Alexander Lukaschenko autokratisch über zehn Millionen Weißrussen. Sein Umgang mit Opposition und Medien erinnert in Vielem an die Sowjet-Vergangenheit. Ein von ihm initiiertes Referendum über seine Amtszeit lässt es nun zu, dass er auch im nächsten Jahr zum Präsidenten gewählt werden kann. Wie reagiert die weißrussische Gesellschaft?

Alleinherrscher durch Moskaus Gnade?

Die zarte Pflanze der Unabhängigkeit, die Belarus nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärt hat, scheint auszutrocknen. Denn seit dem Amtsantritt von Alexander Lukaschenko vor mehr als zehn Jahren ist Demokratie in der ehemaligen Sowjetrepublik zu einem Fremdwort geworden. Bei der letzten Parlamentswahl im Jahr 2004 kamen keine Oppositionsvertreter mehr ins Parlament. Im letzten Herbst räumte der Moskau treue Vasall die letzten Hindernisse für eine absolute Herrschaft aus dem Weg. Er ließ sich in einem Referendum bestätigen, dass er unbegrenzt oft zum Präsidenten gewählt werden kann.

Der ehemalige Parlamentssprecher der Republik, Stanislaw Schuschkewitsch, meint, Lukaschenko sei Putins treuer Lakai und betreibe gegenüber seinen eigenen Landsleuten pure Tyrannei: "Festen Boden unter den Füßen gibt Lukaschenko nur Moskau. Putin kann sich in Bezug auf seinen weißrussischen Amtskollegen jede Derbheit erlauben, und Lukaschenko duckt sich und dankt ergeben. Belarus bleibt de facto russisches Randgebiet und hat weder eine eigene Armee noch einen eigenen Sicherheitsdienst. All das sind die Filialen Russlands".

Lukaschenkos Kampf an allen Fronten

Gespenster der Revolution nach ukrainischem Muster erstickt Alexander Lukaschenko im Keim. Zur Vorbeugung führt er einen Kampf an allen Fronten und mit allen Mitteln. Gegen jene, die gegen das Regime demonstrieren, wird die Polizei geschickt, die mit Knüppeln und Tränengas vorgeht. Vertreter der Opposition werden bespitzelt, in öffentlichen Kampagnen diffamiert, ins Gefängnis geworfen oder zu drakonischen Geldstrafen verurteilt. Die freie Presse ist beinahe vollständig vernichtet. Die letzte unabhängige Zeitung steht kurz vor der Schließung. Die einflussreichen NGOs liegen brach. Sie gelten als mögliche Übermittler des westlichen Geldes für den Sturz des weißrussischen Diktators.

Polnische Minderheit als Staatsfeind

Zu seinen persönlichen Feinden erklärte Lukaschenko vor kurzem auch die 400.000 Bürger umfassende polnische Minderheit im Land. Den Polen, die in der Regel katholisch und westlich ausgerichtet sind, traut das Regime nicht mehr, denn sie sollen für "demokratische Propagada“ aus dem Westen am empfänglichsten sein. Gegen die Aktivisten der polnischen Bewegung geht der Staat repressiv vor: Die Arbeit des Polenverbandes soll nun auf Eis gelegt werden, die polnische Zeitung in Belarus wurde bereits verboten.

Willkür-Aktionen und versteckte Gewalt

Wie weit Lukaschenko seine Macht spielen lässt, beweist er auch mit reinen Willkür-Akten, indem er zum Beispiel nach eigenem Gutdünken die Straßen der Hauptstadt Minsk umbenennt, was im Frühjahr auf unerwartet starken Protest gestoßen ist. Der oppositionelle weißrussische Regisseur Chaschtschewatzkij dazu:

"Wie ein Leitwolf im Rudel muss Lukaschenko hin und wieder jemanden beißen, jemanden bestrafen, auch wenn gar nichts vorgefallen ist. Bestrafen, damit die anderen wissen, wer Herr im Hause ist. Wenn ich es will, denkt er, dann kann ich die Gesellschaft von oben nach unten kehren und anders herum. Lukaschenko prüft immer wieder seine eigenen Grenzen und Möglichkeiten. Er will einfach wissen, wie die Menschen auf seine Willkür-Aktionen reagieren“.

Die Früchte der Gehirnbearbeitung

Elf Jahre ist Alexander Lukaschenko an der Macht. Eine Zeit, in der eine ganze Generation von jungen Menschen herangewachsen ist. Diese Generation wurde im musterhaften Geiste der Sowjet-Propaganda erzogen. Der staatliche Jugendbund, dessen Vorgänger die sowjetischen Pionier- und Komsomolzenorganisationen sind, erzieht den jungen Menschen zur Staatstreue und höchsten Loyalität gegenüber dem Präsidenten.

"Nur wenn man für die politische Führung arbeitet, hat man die Möglichkeit, zu arbeiten und gutes Geld zu verdienen,“ meint der unabhängige Ökonom Leonid Saiko. Durch staatliches Lenken werden die Beschäftigtenzahlen hoch und die Arbeitslosenquote niedrig gehalten. Der Anteil der privaten Wirtschaft beträgt dabei weniger als 20 Prozent. 80 Prozent der Beschäftigten arbeiten im staatlichen Sektor. Entsprechend groß ist die Angst vor Entlassungen, wenn man dem Regime gegenüber seinen Missmut äußert. Die Konsequenz, die in diesem Falle zu erwarten ist, besteht in einer aussichtslosen Arbeitslosigkeit - eine, mit der in Belarus zum Beispiel freie Künstler oder Journalisten konfrontiert werden.

Eine Zeitreise nach Belarus

Ohne es zu ahnen, begibt sich jeder, der heute nach Belarus reist, auf eine Zeitreise. Neu sind in diesem Land lediglich die großen Supermärkte, westlichen Restaurants, Werbe-Billboards und die nagelneuen Autobahnen. Doch all die Erneuerungen haben die Losungen und Parolen des "entwickelten Sozialismus" nicht verdrängt. Es sind zwei Welten, die parallel existieren.

Wird man in Belarus sinngemäß auf das alte sowjetische Volk stoßen? Selbstverständlich! Aber auch dieses Volk lebt in zwei verschiedenen Zeitspannen. All jene, die - ob aus Überzeugung, aus Angst oder aus purem Konformismus - den Mund halten, verweilen in den "gemütlichen"’ 70er Jahren, im so genannten Breschnew'schen Stillstand, einer Art sowjetischem Biedermeier. Die Regime-Gegner müssen sich hingegen auf Repressionen wie in der Stalin-Ära gefasst machen.

Aussichten für die Zukunft

Im nächsten Jahr steht in Belarus die Präsidentschaftswahl ins Haus. Ob die Weißrussen wie vor kurzem ihre Nachbarn - die Ukrainer - auf die Barrikaden gehen werden? Auch wenn die Geduld der Menschen noch lange nicht zu Ende ist, wäre es verfrüht, Vorhersagen zu treffen. Diese Meinung teilt auch Stanislaw Schuschkewitsch, der 1991 unter das Abkommen über das Ende der Sowjetunion für Belarus seine Unterschrift gesetzt hatte:

"Hätte man mich damals gefragt, wie lange sich die Sowjetunion halten würde, hätte ich nie vermutet, dass dieses Land so schnell auseinander fallen würde. Nehmen Sie Tschechien. Ende der 80er Jahre haben meine Freunde, die tschechischen Dissidenten, gemutmaßt, dass man bis zum Ende des Kommunismus noch mindestens 20 Jahre bräuchte! Und was kam dann? Die Ereignisse entwickelten sich Hals über Kopf. Genauso wird es mit Lukaschenko passieren. Solche Diktatoren sterben keines natürlichen Todes. Ich meine natürlich den politischen Tod“.

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Links
Wikipedia - Weißrussland
Welt am Sonntag - Europas letzter Diktator