Ottfried Höffe über die Bedingungen realer Freiheit
Der Durst nach Erkenntnis
Ob es nun ethische Verantwortung oder Gerechtigkeit ist - Ottfried Höffe beschäftigt sich in erster Linie mit Fragen, die die Menschheit bewegen und mit der Rolle des Individuums in der heutigen Gesellschaft. Philosophie ist für ihn "der Anwalt der Menschheit".
8. April 2017, 21:58
Der Tübinger Professor über Kants Thesen
Immanuel Kant ist für den Tübinger Philosophen Ottfried Höffe der Ausgangspunkt jeglicher Lektüre, ohne die man die Wurzeln der seitherigen Philosophie nicht verstehen kann. Kants Thesen und die des Aristoteles sind der Grundstock seiner philosophischen Überlegungen, die vor allem Fragen beinhalten, die die Menschheit bewegen.
Drei entscheidende Fragen
"Was kann ich wissen?", "Was soll ich tun" und "Was darf ich hoffen?" - fragt Immanuel Kant. Diese drei Fragen haben für Ottfried Höffe existentielle Bedeutung. Seit 1995 gibt der an der Universität in Tübingen unterrichtende Professor für Philosophie die Reihe "Denker" heraus, in der bekannte Philosophen einem breiteren Publikum nahe gebracht werden sollen.
In seinem Buch "Kants Kritik der reinen Vernunft. Die Grundlegung der modernen Philosophie" versucht der 62-jährige Deutsche, Kants Überlegungen mit eigenen Interpretationen und einer kritischen Reflexion zu versehen. Dabei versucht er immer wieder, Kants Aktualität dem Publikum näher zu bringen.
Der Durst nach Erkenntnis
Immanuel Kant sagte über sich selbst: "Ich bin selbst aus Neigung ein Forscher. Ich fühle den ganzen Durst nach Erkenntnis und die begierige Unruhe, darin weiter zu kommen oder auch die Zufriedenheit bei jedem Erwerb ..." Dieser Durst nach Erkenntnis, nach Wissen, hat Ottfried Höffe bereits in der Schule ergriffen:
"Ich habe mich bereits in der Schule für mehrere Wissenschaften interessiert, neben der Philosophie auch für die Naturwissenschaften. Ich habe kein Problem mit beiden Seiten: Der Mensch steckt einerseits im Kontinuum der Natur und ist andererseits innerhalb dieses Kontinuums wieder etwas ganz Besonderes. Schon Aristoteles bezeichnete den Menschen ein von Natur aus politisches Individuum und meinte unter "politisch", in gewissen Sozialverbänden leben. Was ihn vom Tier unterscheidet, ist, dass Tiere auf das Überleben fixiert sind, während die Menschen das nackte Leben anvisieren können oder das sichere, angenehme, luxuriöse, aber auch das gute, gerechte Leben. Dieses Spektrum steht nur dem Menschen offen".
Arbeitslosigkeit - eine der großen Geiseln
Seit seiner Kindheit war Höffe gewohnt, "in die Hände zu spucken und selbst zu arbeiten". Er glaubt auch nicht, dass Wohlstand unser Leben so stark verbessert, denn nach seiner Ansicht sind die Menschen heute nicht proportional glücklicher geworden. Ein gelungenes Leben hänge von anderen Fähigkeiten ab:
"Von einem gewissen Selbst- und Weltvertrauen, das man in den ersten Jahren seines Lebens erwirbt, dann ganz stark von sozialen Kontakten und davon, dass man beruflichen Erfolg hat".
Daher nennt der Deutsche die Arbeitslosigkeit als eines der großen Geiseln von heute: "Wir leben heutzutage in Arbeits- und Berufsgesellschaften. Dort lernen wir gewisse Fähigkeiten - manuelle, technische, intellektuelle, auch soziale oder emotionale Fähigkeiten, Mobilität, mittlerweile auch so etwas wie interkulturelle Kompetenz. All das steckt in Zusammenhang mit Berufen, sodass es viel besser ist, man hat die Chance, berufstätig zu sein, als eine noch so gute Sozialhilfe zu bekommen".
Wie ein Miteinander möglich ist
Der Tübinger Philosoph hat sich auch viel mit Europa und den Folgen der Globalisierung auseinandergesetzt, wobei es dabei stets um die Frage geht, wie ein Miteinander der Menschen möglich ist und was sich die Europäerinnen und Europäer unter einem gemeinsamen Europa vorstellen können:
"Europa hat viele Facetten. Vor allem das Geschichtliche, Geistig-Kulturelle, aber auch die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie spielen eine große Rolle. Allerdings muss das auch in die Seele der Bürger hineinkommen. Ein so wichtiges Thema wie die Verfassung etwa sollte den Bürgern zum Referendum vorgelegt werden. Ich weiß nicht, warum sich die Politiker nicht die Mühe genommen haben, mehr über Europas Zukunft zu reden. Stattdessen wird über Vergangenes wie etwa über '60 Jahre Kriegsende" gesprochen. Die EU-Verfassung ist die Zukunft". Höffe fordert in diesem Zusammenhang von den Politikern mehr Aufklärung, um die Bürger europareifer zu machen.
Der Anwalt für die Menschheit
Die Philosophie ist für Otfried Höffe "Anwalt für die Menschheit". Kant hat drei Grundregeln für das Philosphieren aufgestellt: Selbstdenken, sich in der Mitteilung mit Menschen in die Stelle jedes anderen denken und jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken. Höffe dazu:
"Als Philosophiedozent ist es meine Aufgabe, mit meinen Vorträgen Interesse zu wecken, die Studenten davon zu begeistern und sie selbst zum Philosophieren, zum Nachdenken zu bringen: Was heißt Erkenntnis, was ist Objektivität, Gerechtigkeit? Wie sollen Menschen zusammenleben? Das sind Fragen, mit denen man Studenten konfrontieren soll, damit sie zu eigenständigem Denken kommen". Dies sei - so der Tübinger Professor - auch Grundvoraussetzung, um zu einem guten Leben zu kommen.
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Links
Wikipedia - Ottfried Höffe (Kurzbiografie)
zeit.de - Die aristotelische Verharmlosung (Artikel)