Der Kern der Freiheit
Illusion Freiheit?
In seiner klar, aber auch spröde geschriebenen Abhandlung versucht der Philosoph Michael Pauen darzulegen, dass der Kern der Freiheit nicht in einem Gegensatz zum Bestimmtsein, sondern in einer besonderen Art des Bestimmtseins liegt.
8. April 2017, 21:58
Sie machen Experimente und Untersuchungen. Sie schauen in unsere Köpfe und sehen - bunte Bilder. Sie sagen, sie wissen genau, was wir fühlen. Doch eines können sie partout nicht finden, die Hirnforscher: einen freien Willen. Der sei pure Illusion, folgern sie. Daher sei Freiheit genauso eine Illusion wie Zahnschmerzen. Wir alle sind determiniert. Determiniert von neuronalen Prozessen. Das heißt zum Beispiel, dass wir glauben, wir hätten eben erst spontan entschieden, bei Rot über die Kreuzung zu gehen, in Wahrheit hat diese Entscheidung aber schon viel früher stattgefunden.
Nun kann man sich aber auch auf den Standpunkt stellen, dass Freiheit und Determination miteinander vereinbar sind, und das vertritt heute die Mehrheit der Philosophen. Auch der Philosoph Michael Pauen versucht darzulegen, dass der Kern der Freiheit nicht in einem Gegensatz zum Bestimmtsein, sondern in einer besonderen Art des Bestimmtseins liegt, denn unbedingte Willensfreiheit wäre keine Freiheit mehr, sondern Zufall oder Willkür.
Was ist Freiheit?
Vorweg sei gesagt: Wer sachlich in die verzweigte Problematik "Freiheit" eingeführt werden möchte und eine tief greifende Gelegenheit zur philosophischen Orientierung sucht, sollte das Buch unbedingt lesen. Wer aber leicht Verständliches oder Populärwissenschaftliches zum Thema "Freiheit" erwartet, lieber nicht.
Gut jedenfalls ist, dass Pauen den Begriff der Freiheit zunächst a priori definiert, und zwar unabhängig von den Erkenntnissen der Neurobiologie. Im Abschnitt "eine Minimalkonzeption" heißt es:
Wir müssen freie Handlungen grundsätzlich von zwei Typen von Geschehnissen abgrenzen, die wir in keinem Fall als frei bezeichnen würden: von erzwungenen Handlungen und von zufälligen Ereignissen.
Personale Präferenzen
Diese magere wie sehr triviale Form der Selbstbestimmung, die der Autor auf diese Weise festlegt, soll dadurch an Profil gewinnen, dass man sich, wie er vorschlägt, die spezifischen "personalen Präferenzen" eines Menschen ansieht. Diese Präferenzen charakterisieren nämlich den Handelnden. Merkwürdig, dass der Autor in diesem Zusammenhang kaum auf Psyche und Sozialisation, auf Genetik oder Evolution zu sprechen kommt und den Begriff "Ich" und seine Facetten möglichst ausspart. Stattdessen ist da die Rede vom "Selbst".
Freiheit heißt, dass eine Person genau dann frei entscheidet und handelt, wenn sie so, aber auch anders hätte handeln können. Dabei soll ausgeschlossen sein, dass Handlungen von externen Determinanten einschließlich psychischer und physischer Abhängigkeiten bestimmt waren. Ebenso wird ausgeschlossen, dass Handlungen zufällig zustande kommen. Denn sowohl Zufälle, als auch extern (nicht durch die Person selbst) determinierte Ereignisse entziehen sich dem Einfluss der Person und erfüllen somit nicht das Kriterium der Selbstbestimmtheit von Entscheidungen und Handlungen.
Alles eine Frage der Selbstbestimmung
Möglicherweise spielen bei der Entwicklung meiner personalen Präferenzen, also meiner Entscheidungen, die Wünsche und Überzeugungen anderer Personen eine (kausale) Rolle und möglicherweise kann ich meine eigenen personalen Präferenzen, also die mich kennzeichnenden Persönlichkeitsmerkmale, gar nicht frei auswählen? Hätte ich eine andere Sozialisation gehabt, als es tatsächlich der Fall war, so hätte ich womöglich ganz andere Präferenzen entwickelt. Wie kann ich dann aber freie Entscheidungen treffen? Bei Rot über die Ampel gehen oder stehen bleiben?
Das von Pauen vorgeschlagene "Minimalkonzept" der Freiheit lässt noch manche Fragen offen. Eins wird zweifelsfrei in diesem Buch klar: Wir sind in dem Maße frei, wie wir selbstbestimmt entscheiden. Aber ist das nun wirklich eine neue Erkenntnis?
Buch-Tipp
Michael Pauen, "Illusion Freiheit?", S. Fischer Verlag, ISBN 3100619102