Aber die Musik!
Weil sie so natürlich sind...
Schöne Natur, gutes Essen, Gastfreundschaft und umgängliche Interviewpartner: Hörbild-Autor Christian Brüser hat die Recherchen in Kastelruth sehr genossen, nur einen Wermutstropfen hat er zu beklagen: die Musik!
8. April 2017, 21:58
"Ich schwör" hat für manche eine besondere Bedeutung
Noch nie musste ich mich für die Wahl eines Sendungsthemas so rechtfertigen, wie bei den Kastelruther Spatzen. Immer wieder betete ich also die eindrucksvolle Erfolgsbilanz herunter - so einem Phänomen muss man doch auf den Grund gehen: Seit über 20 Jahren werden den "Spatzen", so nennen sie die Fans, jedes Jahr goldene Schallplatten verliehen. Insgesamt 108 goldene Trophäen zieren die Wände des Spatzenladens in Kastelruth.
Mittlerweile haben die sieben Männer aus Südtirol fast 13 Millionen CDs verkauft. Nebeneinander gelegt ergäbe das die Strecke von Hamburg bis Rom, aufeinander gestapelt 14 Mal den Mount Everest. Von solchen Verkaufszahlen können selbst internationale Stars wie Shania Twain (2,9 Millionen CDs im deutschsprachigen Raum) oder Bryan Adams (sechs Millionen) nur träumen.
"Wie konntest Du das nur aushalten?"
So lautete die Standardfrage, wenn ich von meinen Interviewreisen berichtete. Dabei sind die Spatzenfans herzliche Leute und spendierten mir mehr Bier als meiner Leber gut tat.
Die Annährung an die Spatzen und ihre Fans erfolgte in drei Schritten. Am Anfang stand eine Busreise mit einer Reisegruppe aus Franken zum Open-Air-Konzert nach Kastelruth. Ein Flop! Die Reisenden entpuppten sich als lauwarme Spatzenfans, während ich richtige Hardcore-Typen treffen wollte. Außerdem schüttete es im Juni in Kastelruth dermaßen, dass an vernünftige Aufnahmen nicht zu denken war.
Frauenschwarm auf der Alm
Andere sind mit Madonna im Bett, ich saß mit Norbert Rier auf der Wiese. Das war im August, und die Fans ließen den Spatzen Zeit für Interviews. Den Frauenschwarm, Frontman und Sänger Norbert Rier, traf ich auf der Seiser Alm. Hinter uns weideten seine heiß geliebten Haflinger, vor uns präsentierten sich die Dolomiten-Gipfel in all ihrer Pracht. Die einzige Enttäuschung war, dass Norbert Rier keine einzige zynische Bemerkung zu seinen Fans über die Lippen gekommen ist.
Spatzen-Oktoberfest
Der Höhepunkt des Jahres ist für die echten Fans das Kastelruther Spatzenfest im Oktober. Es ist quasi die Hadsch der treuen Spatzen-Anhänger. Im größten Bierzelt Europas schunkeln an drei Tagen 55.000 grölwütige Volksmusikfreunde. Ich hatte also die Qual der Interviewpartnerwahl.
Zu meinen Favoriten zählten der Taxi-Fahrer Manfred, 32, aus Osnabrück, der bei dem Lied "Ich schwör" immer weinen muss, die 14-jähige Ricarda Junge aus Sachsen, die sich vom Geld zur Jugendweihe eine originalgetreue Spatzentracht gekauft hat, und schließlich Hannelore Schnickmann, 52, eine Coca-Cola-Abfüllerin, die sich immer "wie neugeboren" fühlt, wenn sie vom Spatzenfest heim kommt.
Trost im rauen Leben
Die tiefsten Einsichten verdanke ich Walter Widemair, seit Beginn Komponist und Arrangeur für die Spatzen. "Die Musik der Spatzen will ja die Welt nicht verändern. Sie will den Menschen ein bisschen Rückhalt geben, etwas Trost verleihen, sie in romantische Sphären entführen, Träume und Visionen offenbaren. Dabei ist es nicht leicht, der Masse die Wünsche, Ängste und Träume von den Lippen abzulesen und durch Musik wiederzugeben. Aber das Tolle ist, dass es den Spatzen immer wieder gelingt."
Es gelingt sogar sehr gut. Davon zeugt die Erfolgsbilanz. (Tiroler-)Hut ab!
Hör-Tipp
Hörbilder, Samstag, 18. März 2006, 9:05 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Link
Kastelruther Spatzen