Neue Anregungen und Perspektiven
Grenzen überschreitende Wissenschaft
Quer denken, fragen, was noch niemand gefragt hat, traditionelle Grenzen überwinden: das sind die Anforderungen an Wissenschaftler, die die Welt als Ganzes verstehen wollen. Wie kann gesellschaftsoffene und interdisziplinäre Forschung aussehen?
8. April 2017, 21:58
Der Wissenschaft ist der Blick aufs Ganze etwas verloren gegangen. Heute lassen sich etwa Wettervorhersagen erstellen, deren Genauigkeit noch vor zehn Jahren undenkbar war. Wenn es aber um das Klima als Gesamtes geht, reicht es nicht, "Wetterdaten" rein statistisch auszuwerten, so der Klimaforscher Hartmut Grassl vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg.
Um das System Erde zu erfassen, müssen Klimaforschungszentren interdisziplinär angelegt sein. Denn zur Entwicklung von Klimamodellen braucht man auch Daten darüber, wie sich die Menschen in einer bestimmten Region verhalten und wie sie Landstriche nutzen.
Forschung zwischen Öffentlichkeit und Politik
Wie weit dürfen sich Wissenschaftler im Bereich Nachhaltigkeit für politische Lösungsvorschläge einsetzen? Hartmut Grassl sieht seine Aufgabe darin, Politik und Öffentlichkeit möglichst neutrale Vorschläge anzubieten.
Trotzdem hat die Klimadebatte für ihn eine ethisch-moralische Komponente - denn "was kann der Bewohner einer Insel in der Südsee dafür, dass sein Lebensraum verschwinden wird, wenn die USA und Europa so weitermachen wie bisher", so der Klimaforscher.
Mut zum Nicht-Wissen
Aus der Komplexität heraus muss sich die Wissenschaft eingestehen, dass sie derart groß angelegte Fragestellungen nicht mehr mit der gewohnten Detailfreude beantworten kann.
Für Verena Winiwarter von der BOKU Wien und der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung braucht man für interdisziplinäre Arbeit vor allem eines: Mut zum Nicht-Wissen. Eine Herausforderung für die Historikerin: in einem aktuellen Projekt arbeitet sie eng mit Landschaftsökologen zusammen - und die brauchen für ihre naturwissenschaftliche Arbeit "parzellenscharfe Daten", also präzise Informationen, die genau auf ein bestimmtes Stück Land bezogen sind, auch wenn sie aus dem Bereich der Geschichte kommen.
"Gerechte" Wissenschaft
Wie verteilen sich chemische Stoffe, und wie schädlich sind sie? Martin Schäringer von der ETH Zürich arbeitet an der Bewertung von Chemikalien - und braucht dazu die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen.
Der Chemiker hat eine ethische Argumentation entwickelt: so ist etwa ein schädlicher Stoff, der sich bis in die Antarktis ausbreitet, negativ zu bewerten. Denn die Inuit, die dort leben, haben nur den Schaden, aber keinen Nutzen davon.
Auch für Marina Fischer-Kowalski, Leiterin der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung in Wien, ist die Frage der Ethik in ihrer Arbeit relevant. Wie wirkt Gesellschaft auf Natur, und wie beeinflussen natürliche Systeme die Gesellschaft?
Für diese Fragen braucht man die unterschiedlichsten Disziplinen - als ständige Quelle von Anregungen und neuen Sichtweisen auf die Welt. Zeit, Geduld und Respekt für die jeweils anderen Welten: dass sich der Aufwand lohnt, darin sind sich die Forschenden einig - denn so entstehen neue Fragestellungen, die auch für die Gesellschaft und nicht nur für die Wissenschaft relevant sind.
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Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung
GAIA - Ökologische Perspektiven für Wissenschaft und Gesellschaft