Mehr Demokratie statt Kleptokratie?

Albanien vor den Wahlen

40 Parteien kandidieren im Drei-Millionen-Land, dessen politische Klasse in den letzten 15 Jahren weder funktionierende Institutionen zu schaffen noch Bürgerrechte zu garantieren imstande war. Doch nun scheint Hoffnung auf mehr Demokratie aufzukeimen.

LSI-Delegiertenstimmen bei einer Wahlveranstaltung

Am 3. Juli wird in Albanien ein neues Parlament gewählt. Nach 14 Jahren Alleinherrschaft erst der Konservativen und dann der Sozialisten haben viele Wähler kein Vertrauen mehr in die Politik, denn ein Großteil der Bevölkerung kämpft nach wie vor gegen Armut und Arbeitslosigkeit.

Nach jüngsten Umfragen soll es nun eine Koalitionsregierung geben. Zünglein an der Waage zwischen der Demokratischen Partei PD unter Oppositionsführer Sali Berisha und den Sozialisten unter Regierungschef Fatos Nano ist die neue LSI, die Sozialistische Bewegung für Integration, geführt von Ilir Meta, einem demokratischen Aktivisten.

Im Armenviertel Bathore

Jeden Monat kommen sie aus ganz Albanien ins Armenviertel Bathore, einem Vorort von Tirana, vor allem Bauern aus dem armen bergigen Norden. Sie hausen meist in armseligen Hütten oder selbst gebauten Häusern ohne Baugenehmigung, ohne Strom, ohne Wasseranschluss. Die medizinische Versorgung besteht aus drei notdürftigen Rot-Kreuz-Ambulanzen. Die überfüllten Schulen werden in drei Schichten betrieben.

Die Einen suchen ihr Glück in der Hauptstadt, für die Anderen ist Bathore nur das Sprungbrett aus Europas zweitärmstem Land (nach Moldawien) in die Emigration nach Griechenland, Italien oder nach Nordamerika.

Von den Politikern im Stich gelassen

"Wir haben kein Vertrauen mehr in unsere Politiker" - hört man allerorts von der Bevölkerung. Die Politiker kämpfen nur für ihre eigenen Machtansprüche, auf das Volk haben sie vergessen. Niemand kümmert sich darum, neue Arbeitsplätze zu schaffen".

Seit der politischen Wende 1991 sind von den drei Millionen Albanern ca. eine Million Menschen vom Land in die Städte gezogen, und eine Million hat das Land auf Dauer oder Jahre verlassen. Im Armenviertel Bathore lag die Wahlbeteiligung bei den letzten Wahlen bei knapp 20 Prozent. Bei den Parlamentswahlen am 3. Juli werden es voraussichtlich noch weniger sein. Die Albaner sind die Politik nach 14 Jahren Alleinherrschaft erst der Konservativen und dann der Sozialisten leid.

14 Jahre Kleptokratie

Wer vor Gericht ein Urteil haben will, muss den Richter dafür vorher bezahlen. Wer operiert werden will, hat nicht selten nur eine Chance, wenn er oder sie, obwohl krankenversichert, den Chirurgen mit einer ordentlichen Summe besticht. Laut Weltbank-Angaben stammen sieben Prozent aller albanischen Einkommen aus Schmiergeldern.

In einem Land, in dem bei einer Mercedes-Limousinen-Dichte wie in keinem anderen europäischen Land jeder zweite Mercedes im Ausland gestohlen wurde, in dem zwei Drittel aller Zigaretten offen auf der Straße unverzollt verkauft werden, kann es nicht weit her sein mit der politischen demokratischen Kultur. So kontrolliert der sozialistische Wirtschaftsminister Anastas Agnelli als Hauptimporteur von Öl den gesamten albanischen Handel mit Erdöl und Benzin, ist der Landwirtschaftsminister Agron Duka Monopolist im Bereich Futtermittel, Geflügel und Eier.

Kollaps durch korrupte Politiker

Die Monopolbildung und Verflechtung von wirtschaftlicher mit politischer Macht hat in den vergangenen acht Jahren vor allem unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Fatos Nano erheblich zugenommen. Aber unter Sali Berisha, dem konservativen Oppositionsführer und früheren Ministerpräsidenten, war es nicht besser. Die Misswirtschaft gipfelte im Kollaps so genannter Pyramidensysteme betrügerischer Investmentfonds. Dabei verschwanden zehn Prozent des ersparten Vermögens der Albaner.

Erst hat der albanische Steinzeitkommunismus, jetzt haben Korruption, organisierte Kriminalität, Klientelismus und Nepotismus Albanien zerstört. Die kommenden Parlamentswahlen deuten jedoch auf einen fundamentalen politischen Wechsel hin.

Mehr Demokratie durch Koalition?

Geht man nach den jüngsten Umfragen, wird es nach diesen Wahlen erstmals in der jungen Geschichte Albaniens eine Koalitionsregierung geben. Die Sozialistische wie die Konservative Partei liegen gleichauf bei 34 Prozent. Die entscheidende dritte politische Kraft ist die LSI, die Sozialistische Bewegung für Integration, die bei über zehn Prozent der Wählerstimmen gesehen wird. Geführt wird sie von Ilir Meta, einem demokratischen Aktivisten der ersten Stunde und früheren Gewichtheber mit olympischem Lorbeer. Für zwei Jahre war er schon einmal sozialistischer Ministerpräsident. Er strebt die schnelle Integration Albaniens in Europa an.

Wahlslogan "Nation-building"

Europa ist überhaupt das Zauberwort der diesjährigen Parlamentswahl. "Nation-building" auf der Basis demokratischer Institutionen mit rechtsstaatlichen und marktwirtschaftlichen Garantien, so wie sie die Europäische Union in ihren inzwischen zweieinhalbjährigen Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen verlangt, stehen ganz oben auf der Agenda aller Parteien. Und der ordnungsgemäße Wahlablauf am 3. Juli ist ein erster Test.

Einige Anzeichen sprechen jedenfalls dafür, dass die Parlamentwahlen 2005 Albanien einen entscheidenden Schritt zu Demokratie und Rechtsstaat näher bringen.

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