Wie Jonathan Safran Foer 9/11 aufarbeitet

Extrem laut und unglaublich nah

Mit 25 lieferte Jonathan Safran Foer seinen Erstling ab, 2005 war er weltweit der bestbezahlte Autor unter 30. In seinem zweiten Roman "Extrem laut und unglaublich nah" beleuchtet Foer die 9/11-Katastrophe aus dem Blickwinkel eines jüdischen Buben.

Jonathan Safran Foers Roman mit dem komplizierten Titel "Extrem laut und unglaublich nah" handelt vom 11. September 2001, dem in seiner Geschichte ein jüdischer Familienvater zum Opfer fällt. Der Juwelier stirbt im Café "Windows on the World:

Wie weiterleben ohne Dad?

Thomas Schell liebte die Lieder der Beatles. Sein Sohn Oskar tut das auch. Er summt sie nachts, wenn er nicht schlafen kann und stattdessen Sicherheitsvorkehrungen erfindet, Airbags für Wolkenkratzer zum Beispiel oder Vogelfutterhemden, damit der Mensch auch ohne Flugzeug fliegen kann, oder wenn er sich eine Pause gönnt zwischen seinen quälenden Grübeleien: Wieso musste Dad sterben? War er ein Mann mit Geheimnissen? Und: Wie soll ich ohne ihn weiterleben?

Dad deckte mich immer richtig gut zu. Und dann erzählte er mir immer die tollsten Geschichten und wir lasen zusammen die New York Times. Super war auch, dass wir in jedem Artikel, den wir lasen, irgendeinen Fehler fanden. Ich fand es klasse, einen Dad zu haben, der schlauer als die New York Times war. Und ich fand es klasse, dass ich durch sein T-Shirt die Haare auf seiner Brust an der Wange spüren konnte. Und dass er selbst am Ende des Tages immer nach Rasieren roch. Bei ihm kam mein Kopf zur Ruhe. Ich brauchte mir nichts mehr ausdenken!

Suche nach Black

Oskar kann nicht anders. Er sucht seinen toten Vater. Und beim Durchwühlen des Kleiderschrankes findet sich tatsächlich eine Spur, der er nachgehen kann. Es ist ein kleiner Umschlag mit der Aufschrift "Black" und einem Schlüssel darin.

Unter den Blacks sind Chinesen, Philippinos, Amerikaner, Juden, Christen, Alte und Junge - eine Zusammensetzung ähnlich wie die im World Trade Center am Tag der Katastrophe. Jedem erzählt Oskar, warum er das Schloss so dringend finden muss: weil er das Gefühl hatte, seinen Dad erst dann richtig zu lieben, wenn er es schafft, dieses Rätsel zu lösen.

Eine Geschichte über die Liebe

Jonathan Safran Foer hat diese Katastrophe zum Anlass genommen, eine völlig aufgekratzte Story über die Liebe zu schreiben, die blühende, überschäumende, die keine Grenze akzeptiert und die Welt aus den Angeln heben will. Mit einem altklugen 9-Jährigen als Helden.

"Ich kann mich genau erinnern, wie ich mich nach dem 11. September fühlte", erzählt Foer. "Und ich glaube, es ging vielen Leuten genau so: Ich fühlte mich sehr verwundbar und ungeschützt. Es passierte sogar, dass ich meinem Bruder sagte, wie sehr ich ihn liebe. Das hatte ich lange nicht mehr getan. Für viele Leute war es das erste Mal, dass sie weinten. Als ich beschloss, über 9/11 zu schreiben, wollte ich dieses Lebensgefühl der Verwundbarkeit wiederherstellen, das ich hatte, als es passierte. Es schien mir deshalb am besten, aus der Perspektive eines Kindes zu erzählen."

Für Fans guter Geschichten

"Extrem laut und unglaublich nah" enthält sehr viele Lebensweisheiten des Kalibers "Manchmal musst du etwas Schlechtes tun, um etwas Gutes zu bewirken", ferner ein Daumenkino, mit dessen Hilfe der Leser den Sturz eines Mannes aus dem World Trade Center wieder rückgängig machen kann. Gelegentlich gibt's auch leere Seiten im Buch - womit der Autor zeigen will, dass der Sprache nicht immer zu trauen ist.

"Extrem laut und unglaublich nah" wird nicht in die Weltliteratur eingehen. Könnte aber gut sein, dass Jonathan Safran Foer noch einmal etwas zu Papier bringt, das Herz und Hirn der Fans guter Geschichten erobert und bis ans Ende der Tage hält.

Buch-Tipp
Jonathan Safran Foer, "Extrem laut und unglaublich nah", aus dem Amerikanischen übersetzt von Henning Ahrens, Verlag Kiepenheuer und Witsch, ISBN 3462036076