Anlässlich der Berufs-WM in Helsinki
Lehrlinge im internationalen Vergleich
In Österreich gibt es derzeit 120.000 Lehrlinge, weitere knapp 8.000 landen im öffentlichen Auffangnetz. Wie attraktiv eine Lehre bei uns ist, zeigt ein internationaler Vergleich der Systeme bei der Berufs-WM in Helsinki.
8. April 2017, 21:58
In Österreich bildet die Wirtschaft derzeit 120.000 Lehrlinge aus. Weitere knapp 8.000 finden nicht den Lehrplatz, den sie anstreben und landen im öffentlichen Auffangnetz. Das bietet Kurse an, ist aber kein Ersatz für die klassische Lehre. Fachleute erwarten, dass sich das Problem fehlender Lehrstellen bis 2008 noch verschärft, weil es bis dahin immer mehr Jugendliche im Lehrlingsalter gibt. Erst danach nimmt die Zahl ab. In den Folgejahren ist sogar mit einem Lehrlingsmangel zu rechnen.
Das duale System
Trotz der tristen Stellenaussichten zeigt das österreichische System aber andererseits, wie attraktiv eine Lehre in Österreich mit der gleichzeitigen Ausbildung im Betrieb und in der Berufsschule ist. Dieses so genannte "duale System gibt es sonst nur in Deutschland und in der Schweiz. In anderen Industrieländern wird eher über zuwenig Lehrlinge als über zuwenig Lehrstellen geklagt. Allerdings: Auch mit ganz anderen Ausbildungsformen als dem dualen System werden gute Fachleute ausgebildet.
Bei der alle zwei Jahre stattfindenden Berufsweltmeisterschaft -diesmal in Helsinki - zeigt sich jedenfalls, dass alle Industrieländer gute Handwerker mit vergleichbarem Niveau hervorbringen.
Internationaler Vergleich der Berufe
In den Hallen am Messegelände von Helsinki wird gesägt und geschweißt, werden Menüs gekocht und elektronische Bauteile gelötet. 700 junge Frauen und Männer aus 38 Ländern zeigen hier, was sie in ihrer Berufsausbildung gelernt haben. Es gilt, bestimmte Aufgaben zu lösen, etwa: ein Computernetzwerk einzurichten, eine kleine Fertigungsstraße zu bauen oder einen Motor zu reparieren - und dies möglichst schneller und besser als die anderen Bewerber.
Aus Österreich waren diesmal 26 Teilnehmer dabei: Für den Maler Marian Schweiger, den Maurer Hannes Mairhofer und den Restaurantfachmann Stefan Köb gab es eine Goldmedaille. Bei Berufen aus der Elektronik- und Computerbranche dagegen belegen China, Japan und Singapur die ersten Plätze. In der Länderwertung schneidet Südkorea insgesamt am besten ab. Dann folgen Italien, die Schweiz, Singapur und Deutschland. Österreich belegt den sechsten Platz.
Auf verschiedenen Wegen zum Ziel
Zum dualen Ausbildungssystem für die 15- bis 18-Jährigen gibt es zwei Alternativen: zum einen ein Schulsystem wie zum Beispiel in Frankreich. Hier wird die theoretische Seite in einer mehrjährigen Berufsschule erlernt; erst dann folgt der praktische Einstieg in einen Betrieb. Oder: ein Learning-by-Doing-Ansatz wie in Großbritannien. Hier suchen sich Jugendliche, die einen Lehrberuf anstreben, nach der Pflichtschule zunächst einen Arbeitsplatz. Erst später kann ein berufsbegleitendes Ausbildungsprogramm absolviert werden, erklärt Mike Fisher vom britischen Bildungsministerium. Attraktiv finden das aber immer weniger Jugendliche: Im Gegensatz zu Österreich gibt es in Großbritannien nicht zuwenig Lehrstellen, sondern zuwenig Lehrlinge.
Von ähnlichen Problemen berichtet auch San Chin Ha vom staatlichen Ausbildungsinstitut in Südkorea. Hier ist die Lehrlingsausbildung vom Staat organisiert. Ausbildung, Unterkunft und Verpflegung sind für die Schüler frei. Trotzdem werde das Angebot von wenigen genutzt, sagt San Chin Ha, weil die meisten jungen Leute lieber auf eine Hochschule wollen.
In Japan wiederum setzt man auf private Ausbildung. Alle großen Unternehmen haben eigene Schulen, für die sich Jugendliche ab einem Alter von 15 Jahren bewerben können, so Seinichi Ozawa vom Verband der japanischen Berufsschulen. Versuchsweise hat man im letzten Jahr aber ein duales System nach deutschem Muster gestartet; das gilt in Japan als vorbildlich.
In Kanada geht jede Provinz anders vor, sagt Pierre Favron vom kanadischen Arbeitsministerium. In Quebec zum Beispiel können die Jugendlichen im Alter von etwa 15 Jahren auf eine Fachschule gehen; der praktische Teil ist dort aber eher klein.
Der europäische Norden
Auch in Europa gibt es solche sehr schulbezogenen Ausbildungsformen für Lehrlinge. In Schweden zum Beispiel liegt der Schwerpunkt fast nur auf dem schulischen Teil, betont Sean Mendes, der in Schweden für die von der EU-geförderten Leonardo-Projekte zur Berufsbildung zuständig ist.
Wer in Finnland wiederum die allgemeine Schulausbildung abgeschlossen hat, kann auf eine Fachschule gehen oder - ähnlich wie im dualen System - eine Lehre im Betrieb beginnen. Die Prüfungen am Ende der Berufsausbildung sind gleich, sodass auch nach Abschluss einer Lehre sämtliche Studienmöglichkeiten an der Universität offen stehen, erklärt Anja Kaunisto von der Berufsschule in Tampere in Finnland. Das - so Kaunisto - sei einer der größten Vorteile der finnischen Berufsausbildung, dass die jungen Leute nicht so früh festgelegt würden und möglichst viele die Möglichkeit haben, später auch ein Universitäts-Studium zu absolvieren.
Lehre und Matura
Dieses finnische Modell wird durch die 1997 eingeführte Berufsreifeprüfung grundsätzlich auch in Österreich möglich gemacht. Allerdings sei das wenig bekannt, meint Egon Blum, Lehrlingsbeauftragter der Regierung. Anders als bei der Studienberechtigungsprüfung kann man sich bei der Berufsreifeprüfung schon während der Lehre auf den Abschluss vorbereiten. In Deutsch, Mathematik, einer Fremdsprache und in einem weiteren Fach wird die Matura abgelegt. Danach stehen Universitäten und Fachhochschulen offen, erklärt Blum. Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt aber im Handwerklichen.
Steigt das Image der Lehre, dann gibt es auch besser motivierte Lehranwärter als jetzt, sagt Blum. Denn trotz des seit Jahren anhaltenden Lehrstellenmangels in Österreich klagen nach einer heuer durchgeführten Umfrage mehr als die Hälfte der Betriebe über mangelnde Qualifikation von Lehrstellen-Anwärtern.
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Links
WorldSkills - Berufsweltmeisterschaft in Helsinki
http://www.egon-blum.at/Egon Blum - Regierungsbeauftragter für Lehrlinge
IBW - Institut für Bildungsforschung und Wirtschaft
AMS - Arbeitsmarktservice
WKO - Wirtschaftskammer
Opetushallitus - Finnish National Board of Education