Teilhard de Chardins Evolutionsdenken

Gesegnet sei die Evolution

Sein Versuch, das Evolutionsdenken Darwins mit dem christlichen Schöpfungsgedanken zu verbinden, geriet in Konflikt mit der Katholischen Kirche. Im Zweiten Vatikanischen Konzil wurde sein Denken fruchtbar und hat bis heute an Aktualität nicht verloren.

Statement des Wiener Theologen Roland Faber

"Das Faszinierende ist, dass er immer aktueller wird, weil er quasi als erster Christ vertreten hat, dass die Evolution eine neue Ausdrucksform für die Schöpfung ist", sagt Günther Schiwy, der Biograf des Jesuitenpaters Pierre Teilhard de Chardin, einer der bedeutendsten Paläontologen seiner Zeit. Und in der Tat: Kein anderer Name wird bis heute so häufig genannt, wenn es um das Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Religion geht.

Dieses Motto als Grundgedanke seines Werkes liest man auch in seinem 1916 entstandenen Buch "Das kosmische Leben". Als Paläonthologe, der Jahrzehnte lang harte empirische Forschung gewohnt war, und gleichzeitig als katholischer Priester und Theologe war er prädestiniert für diesen Brückenschlag. Er hat das Verhältnis zwischen dem christlichen Glauben an die Weltschöpfung durch Gott und dem modernen Evolutionsdenken radikal neu durchdacht.

Der Punkt Omega

Sein Leben lang arbeitete Teilhard de Chardin an seiner Synthese. Teilhard beschreibt die Entwicklung der Erde und des Menschen. Biogenese und Noogenese, Entstehung des Lebens und des Bewusstsein sind Ausdrücke, die er häufig gebraucht. Er sieht die Entwicklung als einen strukturierten Prozess, der sich durch Zunahme an Komplexität auf materieller Ebene und eine Zentriertheit im geistigen Bereich auszeichnet. Am Ende steht für ihn ein Punkt - Omega, auf den sich alles zu bewegt und von dem die Entwicklung angezogen wird. Teilhard identifiziert diesen Punkt Omega mit Christus und spricht von Christogenese. Damit gelingt ihm eine Zusammenschau zweier unterschiedlicher Weisen, die Welt zu betrachten.

Nach China verbannt

Die wichtigsten Schriften Teilhard de Chardins blieben lange Zeit ungedruckt. Die Katholische Kirche befand sich damals in einer starren Abwehrhaltung gegen die Evolutionslehre und andere so genannte "modernistische" Irrtümer. Teilhard, der als Student die steinzeitlichen Höhlenmalereien von Altamira erforschte und als Neupriester den vorgeschriebenen "Antimodernisteneid" schwören musste, war mitten in diesen Konflikt hineingezogen.

Teilhard de Chardin konnte seine Sicht der Dinge damals nur in kleinen, halb privaten Kreisen diskutieren, denn der Jesuitenorden wollte ihn in sicherer Entfernung von allzu großer Öffentlichkeit wissen. Schließlich wurde er zu Forschungen nach China beordert. Gut zwei Jahrzehnte sollte er dort verbringen, denn der Zweite Weltkrieg machte eine Rückkehr unmöglich.

Mensch nicht fester Weltmittelpunkt

In China, wo er etwa 20 Jahre seines Lebens verbrachte, machte Teilhard auch seine wichtigsten Forschungen. Er gehört zu den ersten Geologen, die die Bedeutung der neuen Funde, vor allem des Peking-Menschen, erkannten. In China hat er auch eines seiner wichtigsten Bücher geschrieben: "Der Mensch im Kosmos“. Am Ende des Prologs zu diesem Buch hält er in einer prägnanten Formulierung eine seiner wesentlichen Einsichten fest:

Der Mensch ist nicht, wie er so lange geglaubt hat, fester Weltmittelpunkt, sondern Achse und Spitze der Entwicklung - und das ist viel schöner.

Höchste Auszeichnung zu Lebzeiten

1950 wurde Teilhard de Chardin zum Mitglied der Französischen Akademie der Wissenschaften ernannt - die höchste Auszeichnung, die das Land einem Wissenschaftler zuteil werden lassen kann. Zur selben Zeit wird ihm von Rom nahegelegt, auf die ihm angebotene Professur am Collège de France zu verzichten. Er unterwirft sich. Nach einer Afrika-Reise zieht Teilhard 1951 nach New York, wo er am 10. April 1955 stirbt.

Bald nach seinem Tod konnten Teilhards Schriften erscheinen und entfachten eine explosionsartige Wirkung. 1962 warnte eine Schrift des Heiligen Offiziums, der heutigen Glaubenskongregation, vor den schwerwiegenden Irrtümern Teilhards, welche die katholische Lehre verletzten; welche, wird dort allerdings nicht gesagt. Der bekannte Roman "In den Schuhen des Fischers“ hat diesen Konflikt und Teilhards Schicksal frei nachgezeichnet.

Gaudium et spes

1965 verteidigte der damalige General des Jesuitenordens, Pedro Arrupe, Teilhard bei einer Pressekonferenz in Rom. Und überraschend gewinnt sein Denken schließlich Einfluss auf das Zweite Vatikanische Konzil. Teilhard wird nicht zitiert, aber in folgender Passage der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes“ schlägt sich sein Ansatz nieder:

Gottes Wort, durch das alles geschaffen ist, ist selbst Fleisch geworden, um in vollkommenem Menschsein alle zu retten und das All zusammenzufassen. Der Herr ist das Ziel der menschlichen Geschichte, der Punkt, auf den hin alle Bestrebungen der Geschichte und der Kultur konvergieren, der Mittelpunkt der Menschheit, die Freude aller Herzen und die Erfüllung ihrer Sehnsüchte.

Heute ist der Konflikt zwischen Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie bereinigt; vor kurzem erst hat die Internationale Theologenkommission im Vatikan Schöpfung und Evolution für vereinbar erklärt. Aber Teilhard ist damit nicht erledigt, denn religiöse Skepsis gegen die Naturwissenschaften existiert noch immer.

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Links
Forum Teilhardianum
Wikipedia - Pierre Teilhard de Chardin