Großer Künstler von zweifelhaftem Ruf
Vom Parsifal zum Danilo
Marcel Wittrisch zählt zu den wichtigsten und populärsten deutschen Tenöre der Zwischenkriegszeit. Er galt als einer der großen Stars Berlins. Ein Blick in seine umfangreiche Diskographie zeigt, dass er auch durchaus der leichten Muse sehr zugetan war...
8. April 2017, 21:58
Marcel Wittrisch war einer der großen Stars der Berliner Oper. Trotzdem liebte er auch die leichte Muse. Nicht umsonst hat etwa Joachim Vierrath, ein ausgewiesener Kenner dieser Zeit, vor ein paar Jahren einen Artikel über Wittrisch mit dem Satz überschrieben: "Vom Parsifal zum Danilo, vom Heiligen Gral direkt ins Maxim". 50 Jahre, ein halbes Jahrhundert lang, ist Marcel Wittrisch nun bereits tot, gestorben mit nicht einmal 52 Jahren, am 3. Juni 1955.
Vielseitiges Repertoire
Wittrisch wurde am 1. Oktober 1903 in Antwerpen geboren. Seine Eltern waren Deutsche und hatten dort einen Pelzhandel betrieben. Nach Ende des Ersten Weltkrieges musste die Familie wieder nach Deutschland zurück. Sie ließ sich in Leipzig nieder, das damals als Stadt der Kürschner und Pelzhändler galt.
In Leipzig, später auch in München und zuletzt in Mailand, hat Wittrisch dann auch seine Gesangsausbildung erhalten. Debütiert hat er schließlich in Halle. 1925 war Braunschweig die nächste Station. Und zu Beginn der Spielzeit 1929 finden wir ihn bereits an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wo er dann bis Kriegsende fix engagiert war und ein unglaublich vielseitiges Repertoire verkörperte.
Das reichte von seiner Berliner Debütrolle, dem Pygmalion in der "Schönen Galathee" von Suppe bis zum Ägisth in "Elektra", die einschlägigen italienischen und französischen Fachpartien ebenso wie eine ganze Reihe absoluter Raritäten, Ur- und Erstaufführungen.
Duette, vor allem mit prominenten Partnern und Partnerinnen, sind auffallend viele im akustischen Nachlass Wittrischs zu finden. Und im Rahmen dieser Sendereihe waren solche immer wieder zu hören, mit Fritzi Massary, mit Erna Sack, mit der Klose, der Tschemacher, mit Hans Reinmar.
Künstlerischer Ziehvater Leo Blech
1933 sang Wittrisch erstmals den Don Jose auf der Bühne, mit Dusolina Giannini in der Titelrolle und mit dem legendären Leo Blech am Pult, der ja auch für Marcel Wittrisch so etwas wie ein musikalischer Vater gewesen ist.
Leo Blech, das war in Berlin eine so markante und unverzichtbare Erscheinung, dass ihn selbst die Nazis, trotz seiner jüdischen Abstammung, lange Zeit in Ruhe gelassen haben. Erst 1937 wurde er dann quasi zwangspensioniert.
1934 leitete Blech an der Lindenoper jedenfalls noch eine umjubelte Premiere von Verdis Ernani mit Marcel Wittrisch in der Titelrolle und dem dämonischen Michael Bohnen als Silva.
Über Begabung und Mitläufertum
Erstmals verkörpert Marcel Wittrisch den Max 1934 an der Berliner Oper. Im Jahr davor aber war er schon Lohengrin. Eine Partie, die er bereits ganz zu Beginn seiner Karriere, in Braunschweig, gesungen hat und mit der Wittrisch ebenso international reüssieren konnte, zwischen Bayreuth und Buneos Aires.
Ob der Lohengrin seiner Stimme gut getan hat, ist wieder eine andere Sache. Da waren Zeitzeugen vielfach geteilter Meinung und tatsächlich zeigen seine Nachkriegsaufnahmen einen starken stimmlichen Verfall...
Nach dem Krieg und nach dem Ende der Greuelherrschaft durch die Nazis, denen sich Wittrisch angebiedert hatte, war es mit seiner großen Karriere vorbei. Zwar gab es da und dort noch Gastspiele, auch hier bei uns in Wien, vor allem aber in Stuttgart, wo er sich auch als Siegmund in der Walküre versucht hat. Im Grunde genommen aber war seine Zeit in jeder Hinsicht vorbei.